Rn. 500
Stand: EL 173 – ET: 06/2024
Die Günstigerprüfung wird durch einen Antrag des StPfl initiiert. Über eine Frist für die Antragstellung sagt das Gesetz in § 32d Abs 6 EStG – im Gegensatz etwa zu § 32d Abs 2 Nr 3 EStG – nichts aus (Weiss, NWB 2016, 334, 342). Daher handelt es sich nach Auffassung des BFH bei dem Antrag auf Günstigerprüfung nach § 32d Abs 6 EStG um ein unbefristetes Wahlrecht, das bis zum Eintritt der Festsetzungsverjährung ausgeübt werden kann (BFH vom 14.07.2020, VIII R 6/17, BStBl II 2021, 92 Rz 19, 20; BFH vom 26.09.2023, VIII R 10/21, BFH/NV 2024, 5 Rz 14; allgemein AEAO vor §§ 172–177 Rz 8.5.2.).
Der Antrag auf Günstigerprüfung kann bis zur Unanfechtbarkeit des betreffenden ESt-Bescheides gestellt werden bzw solange eine Änderung nach den Vorschriften der AO (zB § 164 Abs 2 AO) oder den Einzelsteuergesetzen möglich ist (so auch AbgSt-E BMF BStBl I 2022, 742 Tz 149; allgemein AEAO vor §§ 172–177 Rz 8.5.1.).
Für eine mögliche Änderung eines Steuerbescheids muss allerdings dann das "allgemeine verfahrensrechtliche Institut der Bestandskraft" und die Regelung des § 351 Abs 1 AO beachtet werden (BFH vom 26.09.2023, VIII R 10/21, BFH/NV 2024, 5 Rz 14), somit bspw die Restriktion des § 173 Abs 1 Nr 2 AO beachtet werden. Danach kommt eine Änderung nur in Betracht, wenn den StPfl an dem nachträglichen Bekanntwerden von abgegolten besteuerten Kapitaleinkünften kein grobes Verschulden trifft (BFH vom 12.05.2015, VIII R 14/13, BStBl II 2015, 806; Weiss, AO-StB 2015, 288; Sikorski, NWB 2016, 621, 625 kritisiert die Abweichung von der üblichen Praxis bei der Unterscheidung zwischen Nr 1 und Nr 2 des § 173 Abs 1 AO; dazu AEAO zu § 173 Rz 1.4.); zur Saldierung bei "unmittelbarem oder mittelbarem Zusammenhang" nach § 173 Abs 1 Nr 2 S 2 AO s FG BBg vom 30.01.2020, 4 K 4105/18, EFG 2020, 535. Zum Verhältnis der Günstigerprüfung zu § 46 Abs 2 Nr 8 EStG ("Antragsveranlagung") s FG Nürnberg vom 20.07.2023, 8 K 1062/22, EFG 2023, 1234; Rev BFH VI R 17/23; Weiss, DStRK 2023, 270.
Rn. 500a
Stand: EL 173 – ET: 06/2024
Als Änderungsnorm iSd § 172 Abs 1 S 1 Nr 2 Buchst d AO kommt ua § 175 Abs 1 S 1 Nr 2 AO ("rückwirkendes Ereignis") in Betracht; als weitere Folge des rückwirkenden Ereignisses ist die Anlaufhemmung des § 175 Abs 1 S 2 EStG für die Festsetzungsfrist zu beachten (s auch zur Anlaufhemmung für die Vollverzinsung § 233a Abs 2a AO).
Die Antragstellung nach § 32d Abs 6 S 1 EStG selbst – ohne den Erlass eines geänderten Steuerbescheids – stellt kein rückwirkendes Ereignis dar (BFH vom 26.09.2023, VIII R 10/21, BFH/NV 2024, 5 Rz 20). Dies betrifft den Fall, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Antragstellung gemäß § 32d Abs 6 EStG bereits vor Eintritt der Bestandskraft der Steuerfestsetzung vorliegen, also die Hinzurechnung der KapErtr zu den übrigen Einkünften aufgrund der der bestandskräftigen Steuerfestsetzung zugrundeliegenden Besteuerungsgrundlagen zu einer niedrigeren Steuerfestsetzung führt, und es allein an der notwendigen Antragstellung fehlt (BFH vom 14.07.2020, VIII R 6/17, BStBl II 2021, 92 Rz 24; so bereits FG BBg vom 30.01.2020, 4 K 4105/18, EFG 2020, 535 Rz 28).
Rn. 500b
Stand: EL 173 – ET: 06/2024
Anders ist die Rechtslage hingegen, wenn durch einen Änderungsbescheid erstmalig die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Antragstellung nach § 32d Abs 6 EStG eintreten (allgemein AEAO vor §§ 172–177 Rz 8.5.3.). Denn ob die Steuer aufgrund einer Hinzurechnung der Kapitaleinkünfte niedriger festzusetzen ist, richtet sich nach den Besteuerungsgrundlagen, die in demjenigen Bescheid enthalten sind, für den die Günstigerprüfung durchgeführt werden soll.
Werden nach Eintritt der Bestandskraft der Steuerfestsetzung in einem Änderungsbescheid geänderte Besteuerungsgrundlagen in einer Weise berücksichtigt, dass ein Antrag gemäß § 32d Abs 6 EStG – erstmals erfolgreich – gestellt werden kann, handelt es sich um ein rückwirkendes Ereignis iSd § 175 Abs 1 S 1 Nr 2 AO. Denn durch den Erlass des Änderungsbescheids verändert sich nach Eintritt der Bestandskraft der maßgebliche Sachverhalt für die Beurteilung der Frage, ob die Hinzurechnung der Kapitaleinkünfte zu einer niedrigeren Steuerfestsetzung führt (BFH vom 14.07.2020, VIII R 6/17, BStBl II 2021, 92 Rz 25; bestätigt in BFH vom 26.09.2023, VIII R 10/21, BFH/NV 2024, 5 Rz 18).
Rn. 500c
Stand: EL 173 – ET: 06/2024
Ein dritter Fall ist die Konstellation, bei der die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Ausübung des Wahlrechts nach § 32d Abs 6 EStG bereits vor Eintritt der Bestandskraft der Steuerfestsetzung vorlagen und nicht erstmals aufgrund des Änderungsbescheids entstehen. Es besteht in einem solchen Fall kein Bedürfnis, die schon bestandskräftige Steuerfestsetzung an die geänderte Zusammensetzung der Besteuerungsgrundlagen aufgrund des erst nach Eintritt der Bestandskraft gestellten Antrags nach § 32d Abs 6 EStG anzupassen (BFH vom 26.09.2023, VIII R 10/21, BFH/NV 2024, 5 Rz 19 mwN).
Rn. 501
Stand: EL 173 – ET: 06/2024
Ein grobes Verschulden iSd § 173 ...