Rn. 51
Stand: EL 164 – ET: 04/2023
Die Tarifermäßigung des § 34 Abs 1 und 3 EStG gilt nur für außerordentliche Einkünfte.
Da weder § 34 Abs 1 EStG noch § 34 Abs 2 EStG den Begriff "außerordentliche Einkünfte" definieren, liegt ein unbestimmter Rechtsbegriff vor, der nach Wortsinn und Gesetzeszweck auszulegen ist, vgl hierzu auch BFH v 26.01.2011, BFH/NV 2011, 1056; BFH v 14.04.2015, BFH/NV 2015, 1354.
Demzufolge handelt es sich um Einkünfte, die in der jeweiligen Einkunftsart auf ungewöhnliche und atypische Vorgänge zurückzuführen sind.
Zudem muss es sich um Einkünfte handeln, die über einen längeren Zeitraum wirtschaftlich entstehen aber steuerlich in einem VZ zu erfassen sind und dadurch eine übermäßige progressionsbedingte Mehrbelastung auslösen können, vgl zB BFH v 02.08.2016, BStBl II 2017, 258; BFH v 26.01.2011, BFH/NV 2011, 1056; BFH v 04.03.1998, BStBl II 1998, 787.
Die st Rspr (vgl BFH v 08.04.2014, BFH/NV 2014, 1358 mwN), Schrifttum (vgl zB Schmidt, § 34 EStG Rz 15, 41. Aufl)) und FinVerw (vgl BMF v 11.01.2013, BStBl I 2013, 1326) sprechen in diesem Zusammenhang von "Zusammenballung von Einkünften".
Rn. 52
Stand: EL 164 – ET: 04/2023
Der Begriff "Zusammenballung" wird aber nach neuester Sichtweise auch dahingehend interpretiert, dass zB Entschädigungen (als Ersatz von Einnahmeverlusten eines Jahres) mit anderen (nicht begünstigten) Einkünften in einem VZ zusammentreffen und insgesamt eine höhere Steuer auslösen, vgl BFH v 16.07.1997, BStBl II 1997, 753; 1998, 787; BMF BStBl I 2013, 1326, geändert durch BMF v 04.03.2016, BStBl I 2016, 277. Ausführlich und kritisch hierzu s Rn 86–88.
Die Zusammenballung von Einkünften in einem VZ ist somit ein zwingendes Tatbestandsmerkmal für alle außerordentlichen Einkünfte iSd § 34 EStG, unabhängig davon, ob es – im Vergleich zu einer verursachungsgerechten Verteilung – tatsächlich zu einer höheren Steuerbelastung kommt.
Ob der Progressionsnachteil tatsächlich entsteht, ist nach bisher gesicherter Rechtslage für die Anwendung des § 34 EStG nicht entscheidend, vgl BFH v 17.12.1982, BStBl II 1983, 221; BFH v 04.03.1998, BStBl II 1998, 787; BMF v 11.01.2013, BStBl I 2013, 1326; Wacker in Schmidt, § 34 EStG Rz 15 (41. Aufl); Horn in H/H/R, § 34 EStG Rz 15 und 54 (August 2019).
Zweifel ergeben sich jedoch durch das Urteil des FG Thüringen v 01.12.2009, EFG 2010, 1789 und dem damit im Zusammenhang stehenden Revisionsverfahren: Das FG hat zwar entschieden, dass die außerordentlichen Einkünfte nicht um laufende Verluste (aus Gewerbebetrieb) zu kürzen sind und somit eine Zusammenballung vorliegt, obwohl tatsächlich kein Progressionsnachteil eingetreten ist. Im Beschluss BFH v 09.03.2011, BFH/NV 2011, 1320 hat der BFH das BMF aufgefordert dem Revisionsverfahren beizutreten, in dem es (ua) um die Frage geht, ob ein konkreter Progressionsnachteil für die Anwendung des § 34 EStG erforderlich ist. Durch Rücknahme der Rev wurde diese strittig Frage jedoch nicht entschieden, es zeigt aber die mögliche Tendenz des BFH, die Vergünstigung des § 34 EStG nur im Falle von tatsächlichen Progressionsnachteilen zu gewähren. In den nachfolgenden Entscheidungen wurde diese Problematik aber nicht aufgegriffen und allein darauf abgestellt, ob eine potentiell progressionssteigernde Wirkung der tatsächlich bezogenen Einkünfte vorliegt, vgl BFH v 08.04.2014, BFH/NV 2014, 1358 Rz 10; BFH v 13.03.2018, BFH/NV 2018, 1004; FG Ha v 12.09.2018, 2 K 108/18. Anders dagegen FG Münster v 16.03.2015, EFG 2015, 983 (mit Verweis auf Sieker in K/S/M, § 34 EStG, Rz 82 ff, November 2016), das die Steuerermäßigung von einer tatsächlichen Progressionssteigerung aufgrund einer nichtperiodengerechten Auszahlung (der Entschädigung) abhängig macht.
Sollte der BFH künftig einen tatsächlichen Progressionsnachteil fordern, wäre dies mE eine nicht gerechtfertigte Abkehr von der bisher gefestigten Rspr und Auffassung, dass die außerordentlichen Einkünfte eine besondere Gruppe darstellen, deren Umfang für sich gesondert zu ermitteln ist, s Rn 53; glA Lindberg in Brandis/Heuermann, § 34 EStG Rz 30a (Mai 2022); Horn in H/H/R, § 34 EStG Rz 54 (August 2019).
Die Zusammenballung ergibt sich zT aus dem Wortlaut des § 34 Abs 2 EStG und dem darin enthaltenen Verweis auf die anzuwendenden Einzelvorschriften (zB: § 34 Abs 2 Nr 4 EStG: Vergütungen für mehrjährige Tätigkeiten).
Strittig ist die Frage der Zusammenballung aber insbesondere bei Entschädigungen iSd § 34 Abs 2 Nr 2 EStG. Ausführlich hierzu s Rn 81ff.