Dr. Barbara Zuber, Stefan Ditsch
Rn. 54
Stand: EL 173 – ET: 06/2024
Grundsätzlich knüpft § 50d Abs 3 EStG an das Vorliegen eines Quellensteuerentlastungsanspruchs auf der Grundlage eines DBA an. Die Frage des Verhältnisses zum Abkommensrecht stellt sich insoweit in allen Fällen, in denen einerseits ein Entlastungsanspruch nicht bereits aufgrund abkommensrechtlicher Missbrauchsvermeidungsvorschriften ausgeschlossen ist oder andererseits das einschlägige DBA die Anwendung des § 50d Abs 3 EStG nicht ausdrücklich anordnet (so zB die expliziten Öffnungsklauseln in Art 23 DBA Niederlande; Art 27 DBA Luxemburg; Art 28 DBA Spanien; für eine Abkommensübersicht s Weggenmann/Nehls in Vogel/Lehner DBA, Art 1, Rz 135ff (7. Aufl 2021)).
Entsprechend seinem Wortlaut schränkt § 50d Abs 3 EStG einen abkommensrechtlichen Entlastungsanspruch ein und führt somit zu einem Treaty override, dessen verfassungsmäßige Unbedenklichkeit durch die Rspr bestätigt ist (s BVerfG vom 15.12.2015, 2 BvL 1/12, FR 2016, 326; noch anhängig Vorlagebeschluss des BFH vom 11.12.2013, I R 4/13, BFH/NV 2014, 614 zu § 50d Abs 10 EStG sowie BFH vom 20.08.2014, I R 86/13, BStBl II 2015, 18 zu § 50d Abs 9 EStG; zu Einzelheiten s Musil, FR 2016, 326; Valta/Stendel, StuW 2019, 340).
Die Reichweite des Treaty overrides ist jedoch auch im Rahmen der Neufassung des § 50d Abs 3 EStG noch strittig. Dies zeigt sich insb dann, wenn das zur Anwendung kommende DBA zwar spezielle Missbrauchsvermeidungsvorschriften enthält, diese allerdings nicht oder nur partiell zu einem Entlastungssauschluss führen. Unter den Altfassungen des § 50d Abs 3 EStG galten abkommensrechtliche Spezialvorschriften, die die missbräuchliche Inanspruchnahme abschließend regelten (zB Art 28 DBA-Deutschland-USA – Limitation of Benefits), als vorrangiges lex specialis, welches eine weitere Anwendung von § 50d EStG ausschloss (BFH vom 19.12.2007, I R 21/07, BStBl II 2008, 619 zu Art 23 DBA-Schweiz 1971; BMF BStBl I 2012, 171 Rz 10). Demgegenüber geht der Gesetzgeber nach der Neukonzeption der Norm idF des AbzStEntModG von einem umfassenden Treaty override auch in diesen Fällen aus (BT-Drs 19/27632, 58; so auch Schönfeld/Erdem in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, § 50d EStG Rz 68 (03/2022); Sternberg in K/S/M, EStG, § 50d B7 (11/2023); Frotscher in Frotscher/Geurts, § 50d EStG Rz 10 (12/2021)).
UE ist ein solch absoluter Vorrang des § 50d Abs 3 EStG zu weitreichend (zweifelnd auch Loschelder in Schmitt, § 50d EStG Rz 18 (42. Aufl 2023); Lamprecht in BeckOK, § 50d EStG Rz 110). Wenngleich das Konkurrenzverhältnis zwischen DBA und § 50d Abs 3 EStG gesetzlich iS einer zusätzlichen Anwendung von § 50d Abs 3 EStG geregelt wurde, sind bei dessen Auslegung die Wertungsmaßstäbe der speziellen abkommensrechtlichen Missbrauchsvorschriften zu berücksichtigen (vergleichbar dem Verhältnis zwischen speziellen Missbrauchsvorschriften wie dem § 50d Abs 3 EStG oder den §§ 7ff AStG und § 42 AO; s BFH vom 17.11.2020, BStBl II 2021, 580; Drüen, Ubg 2022, 61, 64f).
Es ist daher im Einzelfall zu prüfen, ob die abkommensrechtlichen Regelungen einer Anwendung von § 50d EStG entgegenstehen (für eine differenzierende Auslegung auch Wagner in Brandis/Heuermann, § 50d EStG Rz 72 (11/2022); Schaumburg/Häck in Schaumburg, Internationales Steuerrecht, Rz 19133 f, 5. Aufl 2023; Weggenmann/Nehls in Vogel/Lehner DBA, Art 1, Rz 135ff (7. Aufl 2021)). Legt ein DBA die Abkommensberechtigung detailliert und umfassend fest, wie zB im Falle der LoB-Klausel in Art 28 DBA USA (hierzu iE Braun, Ubg 2018, 83) bzw in Art 29 OECD-MA, spricht dies für den Willen der Vertragsparteien, damit die Voraussetzungen für eine Inanspruchnahme von Quellensteuerentlastungen abschließend zu regeln. Für eine weitergehende Versagung von Entlastungsansprüchen durch § 50d Abs 3 EStG ist in diesen Fällen uE kein Raum (im Ergebnis glA Gosch in Kirchhof/Seer, § 50d EStG Rz 8 (22. Aufl 2023); Hagena in H/H/R, § 50d EStG Rz 52 (12/2022)).
Bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 50d Abs 3 EStG muss der abkommensrechtliche Entlastungsanspruch dann folgerichtig im Rahmen des Gegenbeweises aufrecht erhalten bleiben, da dieser Vorteil gerade nach Maßgabe des DBA vorgesehen ist und deshalb nicht dem Zweck des geltenden Steuerrechts zuwiderläuft (die Gegenbeweismöglichkeit ebenfalls bejahend Schönfeld/Erdem in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, § 50d EStG Rz 68 (03/2022)).
Rn. 55–56
Stand: EL 173 – ET: 06/2024
vorläufig frei