Dr. Barbara Zuber, Stefan Ditsch
Rn. 210
Stand: EL 173 – ET: 06/2024
Im internationalen Bereich kommt es aufgrund der unterschiedlichen Steuerrechtsordnungen häufig zu Situationen, in denen die Steuerrechtssubjektivität eines Rechtsträgers im Sitzstaat anders beurteilt wird als im jeweiligen Ausland. Bei der Anwendung eines DBA kann es in solchen Fällen dazu kommen, dass Deutschland und der andere Vertragsstaat aufgrund der unterschiedlichen Einordnung als transparenter oder intransparenter Rechtsträger abzugssteuerpflichtige Einkünfte jeweils unterschiedlichen Personen zurechnen, zum einen den Gesellschaftern und zum anderen dem hybriden Rechtsträger (sog Zurechnungskonflikt). Zur Lösung eines solchen Zurechnungskonflikts sieht § 50d Abs 11a EStG die Zuordnung des abkommensrechtlichen Erstattungsanspruchs nach Maßgabe der ausländische Steuerrechtswertung vor.
Grundsätzlich ist aus deutscher Sicht materiell anspruchsberechtigt für die Erstattung zu viel einbehaltener Abzugssteuern der Gläubiger der KapErtr oder Vergütungen, dem diese im Zeitpunkt des Zuflusses nach deutschem Steuerrecht zuzurechnen sind; dies ist grundsätzlich diejenige Person, die mit den betreffenden Einkünften der beschränkten StPfl im Inland nach Maßgabe der §§ 49ff EStG unterliegt. Im Regelfall wird dabei der Gläubiger der KapErtr oder Vergütungen als zivilrechtlicher Anspruchsinhaber auch mit derjenigen Person übereinstimmen, der steuerlich die Einkünfte zuzurechnen sind.
Weichen die Gläubigerstellung und die steuerliche Zurechnung nach inländischer oder ausländischer Rechtswertung voneinander ab, legt § 50d Abs 11a EStG fest, dass der abkommensrechtliche Erstattungsanspruch nur der Person zusteht, der die Einkünfte nach dem Recht des ausländischen Vertragsstaates zugerechnet werden.
Rn. 211
Stand: EL 173 – ET: 06/2024
Diese Bindung des abkommensrechtlichen Erstattungsanspruchs an die Qualifikation des ausländischen Vertragsstaates wurde erstmals mit Einfügung des S 11 in § 50d Abs 1 EStG idF des AmtshilfeRLUmsG vom 26.06.2013 (BGBl I 2013, 1809) kodifiziert und ist im Zuge der Neukonzeptionierung des Quellensteuerentlastungsverfahrens durch das AbzStEntModG vom 02.06.2021 (BGBl I 2021, 1259) wortgleich in den Abs 11a des § 50d EStG übernommen worden.
Nach der Regierungsbegründung zum AmtshilfeRLUmsG sollte mit der Regelung insb vermieden werden, dass im Falle hybrider Gesellschaftsformen, die in den Vertragsstaaten jeweils unterschiedlich als steuerlich transparent bzw intransparent behandelt werden, der Erstattungsanspruch aufgrund der unterschiedlichen Qualifikation des Gläubigers durch die beteiligten Staaten leerläuft (BT-Drs 17/13 033, 72).
Die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung ergab sich seinerzeit vor dem Hintergrund, dass die Rspr in mehreren Urteilen die sog anwenderstaatsorientierte Sichtweise bestätigte, nach der die steuerliche Qualifikation eines ausländischen Rechtsträgers für Zwecke der Anwendung eines DBA ausschließlich nach Maßgabe des deutschen Steuerrechts zu erfolgen hat (BFH vom 26.06.2013, BStBl II 2014, 367; BFH vom 25.05.2011, BStBl II 2014, 760 mwN). Danach sind bei einer ausländische PersGes nur deren Mitunternehmer zur Erstattung einer inländischen Quellensteuer berechtigt, auch wenn die PersGes nach ausländischem Recht als KapGes besteuert wird.
Demgegenüber hatte die FinVerw basierend auf der sog abkommensorientierten Sichtweise der OECD (s OECD, Partnership-Report – The Application of the OECD Model Tax Convention to Partnerships, Issues in International Taxation, No. 6, Paris 1999; bestätigt in Ziff 2 zu Art 1 OECD MA 2017) bereits zuvor ausländischen hybriden PersGes Quellensteuerentlastungen gewährt (s BMF vom 24.01.2012, BStBl I 2012, 171 Tz 3; BMF vom 16.04.2010, BStBl I 2010, 354 Tz 2.1.2 zur Gesetzeslage vor Einführung des § 50d Abs 1 S 11 EStG aF).
Rn. 212
Stand: EL 173 – ET: 06/2024
Mit der Einführung des § 50d Abs 1 S 11 EStG aF wurde die damalige Verwaltungspraxis auf eine gesetzliche Grundlage gestellt. Allerdings kann die Regelung angesichts der zahlreichen Unklarheiten und Ungereimtheiten nur als missglückt bezeichnet werden. Sie kann allenfalls einen Teilbereich möglicher subjektiver Zurechnungskonflikte lösen, wirft aber gleichzeitig eine Vielzahl komplexer Auslegungsfragen auf, zB
- bei umgekehrt hybriden Strukturen,
- Mehrstaatenfällen oder
- bei Anwendung des abkommensrechtlichen Schachtelprivilegs,
die die Rechtsanwendung erschweren.
Trotz der einhelligen Kritik des Schrifttums hat der Gesetzgeber jedoch auch die Neuordnung des Quellensteuerentlastungsverfahrens durch das AbzStEntModG nicht genutzt, um die zahlreichen Schwachpunkte nachzubessern. Es gilt nach wie vor, dass die Regelung offensichtlich nicht zu Ende gedacht worden ist (so bereits Wassermeyer in Wassermeyer/Richter/Schnittker, PersGes im internationalen Steuerrecht, 2015, Rz 2.29).