Entscheidungsstichwort (Thema)
einstweilige Anordnung. Anordnungsgrund. Sozialhilfe. Kostenübernahme für eine Maßnahme der Frühförderung als Leistung der Eingliederungshilfe. kein Leistungsausschluss. Bedarfsdeckung durch anderen Träger. fehlende Vergütungsvereinbarung. Ermessen. Bedarfsdeckungsprinzip
Orientierungssatz
1. Eine sinnesspezifische Frühförderung stellt bei einem mehrfachbehinderten Kleinkind eine Leistung der Eingliederungshilfe nach § 54 SGB 12 dar, weil sie zur individuellen Potentialausschöpfung erforderlich ist.
2. Der Anspruch auf Eingliederungshilfe ist nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil es sich bei einer Einrichtung nicht um ein sozialpädiatrisches Zentrum iS des § 2 S 2 FrühV handelt.
3. Kann der Eingliederungsbedarf mit einer Einrichtung nicht erbracht werden, ist der Bedarf im Einzelfall durch andere Träger zu decken.
4. Die Leistungserbringung durch eine Einrichtung ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil der Sozialhilfeträger mit dieser keine Vereinbarung über die Vergütung geschlossen hat.
5. Der Leistungsträger des SGB 12 hat sich bei seiner Ermessensentscheidung am Bedarfsdeckungsprinzip zu orientieren. Soweit er dem Hilfesuchenden, der bereits durch eine Einrichtung gefördert wird, keine konkrete geeignete Hilfemöglichkeit nachweist, muss er die Kosten grundsätzlich übernehmen, auch wenn eine Vereinbarung nach § 75 Abs 3 SGB 12 nicht besteht.
6. Das für den Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderliche Eilbedürfnis ist zu bejahen, weil die begehrte Frühförderung bei bestehender Mehrfachbehinderung möglichst frühzeitig ansetzen muss. Ein Abwarten der Entscheidung im Hauptsacheverfahren ist angesichts des Zieles der sinnesspezifischen Frühförderung nicht zumutbar.
Tenor
Der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 12. September 2007 wird aufgehoben.
Der Antragsgegner wird verpflichtet, der Antragstellerin vorläufig bis zur Entscheidung über den Antrag auf Gewährung einer Maßnahme - sinnesspezifische Frühförderung und Beratung - vom 22. Februar 2007, Leistungen der Eingliederungshilfe in Form einer sinnesspezifischen Frühförderung durch SFZ Förderzentrum gGmbH, Reinickendorfer Straße 60 B, 13347 Berlin in einem Umfang von zweimal 90 Minuten wöchentlich zu gewähren und hierfür die Kosten in Höhe von 122,00 Euro pro Einheit zu erstatten.
Der Antragsgegner trägt die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin des gesamten Rechtsstreits.
Gründe
I.
Die Antragstellerin begehrt vom Antragsgegner die Gewährung von Eingliederungshilfe nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - SGB XII -.
Bei der 2006 geborenen Antragstellerin ist u.a eine symptomatische Epilepsie, eine schwere Mehrfachbehinderung (psychomotorische Entwicklungsstörung mit spastischer Bedrohung; orofaziale Dysfunktion; Sehbehinderung) und ein Mikrozephalus diagnostiziert.
Mit Bescheid vom 20. November 2006 hat der Beklagte festgestellt, dass die Antragstellerin zum Personenkreis des § 2 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - SGB IX - gehört und der festgestellte Personenkreis dem des § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII entspricht. Weiter ist in dem Bescheid festgestellt worden, dass die Antragstellerin dem Grunde nach Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen durch den zuständigen Träger der Sozialhilfe nach den Vorschriften der §§ 54 ff. SGB XII i. V. m. den Regelungen des SGB IX hat.
Nachdem die Antragstellerin im Klinikum im Sozialpädiatrischem Zentrum - SPZ Klinikum im F - vorgestellt geworden war, wurde festgestellt:
“Bei L liegt eine hypoxisch-ischämisch bedingte Mehrfachbehinderung vor. Aus oben mitgeteilten Befunden ergibt sich die Symptomatik einer schweren zentralen Koordinationsstörung mit spastischer Bedrohung. Klinisch besteht der dringende Verdacht auf ein West-Syndrom. Aufgrund einer Saug- und Schluckstörung wird L seit Geburt über eine orogastrale Sonde ernährt. Es ergeben sich Hinweise für eine höhergradige Sehbehinderung. Bei fehlendem AFR ist eine Überprüfung des Hörvermögens erforderlich„. (Epikrise SPZ Klinikum im F vom 09. Januar 2007, Seite 3, Blatt 3 VV).
Es wurde mit der Mutter der Antragstellerin u. a. eine Anmeldung zur häuslichen Frühförderung über die P vereinbart, der auch die Epikrise übersandt wurde. Die Anmeldung erfolgte dort für den 10. Januar 2007 (Epikrise SPZ Klinikum im F vom 09. Januar 2007). In der Folge wurde die Antragstellerin von der P an die Einrichtung S gGmbH - SFZ - verwiesen.
Mit Schreiben vom 13. Februar 2007, Eingang bei dem Antragsgegner am 22. Februar 2007, beantragte die Antragstellerin über ihre Mutter die Gewährung einer sinnesspezifischen Frühförderung und Beratung und gab an, diese Förderung solle durch die SFZ erfolgen. Mit dem Antrag wurde die Epikrise des SPZ Klinikum im F vom 09. Januar 2007 eingereicht. Dem Antragsgegner wurde von der P mitgeteilt, dass die S freie Kapazitäten habe und “gute Arbeit„ leiste (Aktenvermerk Blatt 1 VV). In der Folge ging bei dem Antragsgegner ein Förderplan zum Antrag auf sinnesspezifische Frühförderung un...