Vorlagefragen 2–4: Die Ausführungen des EuGH zu den Vorschriften des Vorsteuervergütungsverfahrens (vgl. oben III. und IV.) waren wohl nicht besonders spektakulär, dienen aber durchaus der Klarstellung.
Vorlagefrage 1: Interessant waren hingegen insbesondere die Anmerkungen dazu, was der Steuerpflichtige benötigt, um einen Vorsteuervergütungsanspruch geltend machen zu können bzw. den Vorsteueranspruch im Veranlagungsverfahren ausüben zu können (vgl. oben II.).
Zwar Dokument ...: Mit Blick auf diese Anmerkungen kann man wohl zusammenfassend sagen, dass der Gerichtshof mit einer kleinen Präzisierung seiner Linie treu geblieben ist. Die Präzisierung kann man – insbesondere im Vergleich zur Vădan-Entscheidung vom 21.11.2018 – darin sehen, dass der Gerichtshof die Aussage, ein Steuerpflichtiger könne durch objektive Nachweise belegen, dass die materiellen Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs erfüllt seien, dahingehend konkretisiert, dass den objektiven Nachweisen eine "Rechnung" zugrunde liegen müsse (die natürlich nach den Grundsätzen der Senatex-Entscheidung rückwirkend korrigiert werden kann). Diese "Rechnung" kann auch aus verschiedenen Belegen bestehen, aus deren Gesamtheit sich die erforderlichen Angaben ergeben (Gesamtdokument).
... aber ohne starre Vorgaben: Dazu, welche Angaben in einem solchen Gesamtdokument enthalten sein müssen, um überhaupt im konkreten Einzelfall als "Rechnung" angesehen werden zu können, macht der EuGH keine Vorgaben. Unter Berücksichtigung dessen, dass bei der Beurteilung, ob eine Rechnung vorliegt, sowohl die vom Steuerpflichtigen beigebrachten zusätzlichen Informationen als auch (objektive) Nachweise zu berücksichtigen sind, die sich ggf. sogar im Besitz des leistenden Unternehmers befinden können, können rudimentäre Angaben im Gesamtdokument wohl ausreichend sein. Sie können sich aus allen vorgelegten Belegen ergeben. In dieser Hinsicht dürften sich aus dem vorliegenden Urteil vom 21.10.2021 in der Praxis also keine Abweichungen von den bisherigen Urteilen zu diesem Thema ergeben.
"Mindestangaben" des BFH: Die (starre) Regel von fünf Mindestangaben, die der BFH aufgestellt hat (und die auch die Generalanwältin in ihren Schlussanträgen erwähnte), kann demnach keinen Bestand haben (zumindest nicht als allgemeine Regel für alle Fälle).
Gesamtauswirkungen marginal: Diese Feststellungen sind vermutlich gar nicht so aufregend, wenn man davon ausgeht, dass wahrscheinlich für 99,9 Prozent aller täglich ausgeführten Transaktionen ohnehin (halbwegs) ordnungsgemäße Rechnungen ausgestellt werden. Dies allein schon deswegen, weil ein Kunde das vereinbarte Entgelt im Regelfall sowieso nur dann zahlen wird, wenn er eine (regelkonforme) Rechnung erhält. Das gebieten schon die Grundsätze der Buchführung. Außerdem müssten die Kunden sonst durch andere Mittel nachweisen, dass die Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs gegeben sind. Das kann schwierig sein und bietet sich für das tägliche (Massen-)Geschäft nicht an. Insofern steht wohl auch nicht zu befürchten, dass Unternehmen die (kulante) Auffassung des EuGH dahingehend ausnutzen würden, ihre Prozesse dahingehend umzustellen, sämtliche Einkäufe nicht mehr durch (ordnungsgemäße) Rechnungen, sondern durch andere Beweismittel nachweisen zu wollen. Ein solches Unternehmen hätte wohl bald zumindest Liquiditätsprobleme.
Einzelfälle im Blick des EuGH: In der Praxis gibt es aber aus verschiedensten Gründen immer wieder Einzelfälle, in denen (ordnungsgemäße) Rechnungen nicht vorliegen und möglicherweise auch nicht mehr erlangt werden können. Warum dann – wenn die Erfüllung der materiellen Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs außer Frage steht (wenn also die Finanzbehörden über die zur Begründung des Vorsteuerabzugs erforderlichen, nachweislich korrekten Angaben verfügen) – formal(istisch)e Gründe dazu führen sollen, dass der Leistungsempfänger keinen Vorsteuerabzug mehr geltend machen kann, leuchtet nicht ein. Insofern ist die besonnene Rechtsprechung des EuGH für diese "kaputten" Fälle auch nach der leichten Kurskorrektur weiterhin zu begrüßen.