Leitsatz
Das im Rahmen einer Nettolohnvereinbarung an den Arbeitgeber abgetretene und an diesen gezahlte Kindergeld mindert im Jahr der Zahlung den Bruttoarbeitslohn des Arbeitnehmers.
Normenkette
§ 2 Abs. 6 Satz 3, § 11 Abs. 1 Satz 1, § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 31 Satz 4, § 32 Abs. 6, § 38 Abs. 2 Satz 1, §§ 62ff. EStG
Sachverhalt
Die Kläger sind japanische Staatsbürger und wurden im Streitjahr (2018) zur ESt zusammen veranlagt. Sie wohnten im Streitjahr im inländischen X und haben zwei Kinder. Als Angestellter der A-Ltd., Japan, arbeitete der Kläger im Rahmen einer befristeten Entsendung von Oktober 2017 bis August 2019 für die B-GmbH (GmbH) in im Inland belegenen Y. Hierfür erhielt er sowohl von der japanischen Muttergesellschaft als auch von der GmbH Gehalt. Die Auszahlung erfolgte im Rahmen einer Nettolohnvereinbarung.
Im Mai 2018 beantragte der Kläger Kindergeld für die beiden Kinder der Eheleute und bestimmte, das Kindergeld solle auf ein Konto einer anderen Person, nämlich der GmbH, überwiesen werden. Die zuständige Familienkasse setzte Kindergeld ab Januar 2018 fest und zahlte dieses für das Streitjahr antragsgemäß auf ein Konto der GmbH aus.
Die GmbH verbuchte das vereinnahmte Kindergeld in ihrer Finanzbuchhaltung gegen Personalaufwand. Den Bruttoarbeitslohn des Klägers unterwarf sie dem LSt-Abzug, ohne die Kindergeldzahlungen als negative Einnahmen zu berücksichtigen. In ihrer ESt-Erklärung für das Streitjahr erklärten die Kläger einen um das Kindergeld gekürzten Bruttoarbeitslohn.
Das FA lehnte die Kürzung des Bruttoarbeitslohns um das Kindergeld ab. Es berücksichtigte bei der ESt-Festsetzung jedoch zwei Kinderfreibeträge und erhöhte die ESt um das Kindergeld. Den Einspruch der Kläger wies das FA als unbegründet zurück. Das FG gab der Klage statt (FG Düsseldorf, Urteil vom 11.11.2021, 14 K 2577/20 E, EFG 2022, 759, Haufe-Index 15074829).
Entscheidung
Die Revision des FA hat der BFH als unbegründet zurückgewiesen.
Hinweis
1. Unter einer Nettolohnvereinbarung ist eine Abrede zwischen den Parteien eines Arbeitsverhältnisses des Inhalts zu verstehen, dass der Arbeitgeber an den Arbeitnehmer das Arbeitsentgelt als Nettolohn zahlt, der Arbeitnehmer also den als Nettolohn vereinbarten Betrag ungekürzt durch sämtliche oder bestimmte gesetzliche Abgaben erhält, während sich der Arbeitgeber verpflichtet, die Beträge für den Arbeitnehmer zu tragen. Dabei ist der Arbeitgeber aufgrund der Nettolohnvereinbarung gegenüber dem Arbeitnehmer zu einer ungekürzten Auszahlung eines gleichbleibenden Monatsnettolohns verpflichtet.
2. Bei der ESt-Veranlagung des Arbeitnehmers führt die Nettolohnvereinbarung insbesondere dazu, dass bei seinen Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit neben dem Nettolohn diejenigen Vorteile zu erfassen sind, die in der Übernahme von LSt und Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung durch den Arbeitgeber liegen. Deshalb hat der Arbeitnehmer in seiner Steuererklärung nicht lediglich den Nettolohn, sondern den durch Hochrechnung ermittelten Bruttolohn zu deklarieren. Denn der Arbeitnehmer bleibt auch bei Abschluss einer Nettolohnvereinbarung Schuldner der LSt (§ 38 Abs. 2 Satz 1 EStG) und seiner persönlichen ESt.
3. Werden Erstattungsansprüche wegen zu viel gezahlter LSt an den Arbeitgeber abgetreten, sind diese in dem Lohnzahlungszeitraum einkünftemindernd zu berücksichtigen, in dem das FA den Erstattungsbetrag an den Arbeitgeber geleistet hat, da zu diesem Zeitpunkt tatsächlich Einnahmen des Arbeitnehmers nach § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG an den Arbeitgeber zurückgeflossen sind. Durch die Steuererstattung wird die in einer Nettolohnabrede strukturell angelegte und deshalb arbeitsvertraglich zunächst geschuldete Gehalts- beziehungsweise Steuerüberzahlung in einem späteren VZ ausgeglichen.
4. Nach diesen Maßstäben hat das FG den Bruttoarbeitslohn des Klägers zu Recht um das im Streitjahr an die GmbH geflossene Kindergeld gemindert.
a) Das Kindergeld dient primär dazu, im laufenden Kalenderjahr einen Einkommensbetrag i.H.d. sächlichen Existenzminimums einschließlich der Bedarfe für Betreuung und Erziehung oder Ausbildung von der Einkommensbesteuerung freizustellen. Es wird als Steuervergütung im laufenden Kalenderjahr gezahlt und ist als solche Vorauszahlung auf eine mögliche einkommensteuerrechtliche Kinderentlastung. Entsprechend entfällt die Berücksichtigung der Kinderfreibeträge bei der Erhebung der LSt. Bei der ESt-Veranlagung ist der Kinderfreibetrag nach § 32 Abs. 6 EStG vom Einkommen abzuziehen, wenn die gebotene steuerliche Freistellung des Existenzminimums und der weiteren Bedarfsbeträge durch das Kindergeld nach §§ 62 ff. EStG nicht vollständig bewirkt wird. In diesem Fall ist der Anspruch auf Kindergeld der festzusetzenden ESt wieder hinzuzurechnen (§ 2 Abs. 6 Satz 3 EStG und § 31 Satz 4 Halbs. 1 EStG), weil es sonst zu einer Doppelberücksichtigung des Existenzminimums durch Steuerfreibeträge und Steuervergütung käme. Die Hinzurechnung erfolgt auch dann, wenn das Kindergeld an das Kind selbst ...