Steuerliche Behandlung von Arbeitnehmereinkünften bei Nicht-DBA-Auslandstätigkeiten: Eine vergleichende Analyse
[Ohne Titel]
RiFG Dr. Sascha Bleschick
Das BMF hat sein Schreiben v. 31.10.1983 (BMF v. 31.10.1983 – IV B 6 - S 2293 - 50/83, BStBl. I 1983, 470) – den sog. Auslandstätigkeitserlass (ATE) 1983 – für VZ ab 2023 neu gefasst (BMF v. 10.6.2022 – IV C 5 - S 2293/19/10012 :001 – DOK 2022/0079983, BStBl. I 2022, 997 [ATE 2022] = EStB 2022, 300 [Bleschick]). Anlass für die Überarbeitung waren neben notwendigen Anpassungen an die seit 1983 veränderte Rechtslage auch ein gewandeltes Rechtsverständnis der Finanzverwaltung zum Ausmaß der Förderung der Arbeitnehmertätigkeit in einem Staat, mit dem in Bezug auf Arbeitnehmereinkünfte kein DBA besteht.
1. Einleitung
Die Finanzverwaltung hatte für Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit durch das BMF-Schreiben v. 31.10.1983 zur Förderung der deutschen Exportwirtschaft die in § 34c Abs. 5 EStG vorgesehene Befugnis zur steuerlichen Privilegierung ausländischer Einkünfte ausgeübt (sog. Auslandstätigkeitserlass – ATE 1983).
Der ATE 1983 ist nunmehr durch den ATE 2022 mit Wirkung für VZ ab 2023 überarbeitet worden (ATE 2022 Rz. 20).
Steuerbefreiung mit Progressionsvorbehalt: Für den vom ATE erfassten Arbeitslohn gilt eine Steuerbefreiung mit Progressionsvorbehalt (s. Ausführungen unter 9.). Insbesondere zur Vermeidung einer LSt-Haftung sollten Arbeitgeber die neuen Regelungen des ATE 2022 beachten.
Beschäftigung in einem ATE-Staat: Nach wie vor erfasst die Verwaltungsvorschrift die Konstellation, dass Arbeitnehmer in einem Staat beschäftigt sind, mit dem Deutschland kein DBA geschlossen hat (sog. ATE-Staat ). Dies ist v.a. der Fall bei Tätigkeiten in Afghanistan, Brasilien, Chile, Dominikanische Republik, Hongkong, Libyen, Nigeria, Peru und Saudi-Arabien. In diesen Fällen kann unter den näheren Voraussetzungen des ATE 2022 Arbeitslohn steuerfrei gezahlt werden.
Im Folgenden werden die nach Auffassung der Finanzverwaltung zu beachtenden Regelungen näher betrachtet, wobei die Neuerungen besonders hervorgehoben werden.
2. Rechtsgrundlage des Auslandstätigkeitserlasses
§ 34c Abs. 5 EStG ist die Rechtsgrundlage des ATE 1983/2022. Danach können
- die obersten Finanzbehörden der Länder oder die von ihnen beauftragten Finanzbehörden mit Zustimmung des BMF
- die auf ausländische Einkünfte entfallende deutsche Einkommensteuer
- teilweise oder gar ganz erlassen oder in einem Pauschbetrag festsetzen,
- wenn es aus volkswirtschaftlichen Gründen zweckmäßig ist oder
- die Anrechnung der ausländischen Steuer auf die deutsche ESt nach § 34c Abs. 1 EStG besonders schwierig ist.
Eine solche Vorschrift genügt den Anforderungen, die Art. 80 GG an eine gesetzliche Ermächtigung der Exekutive zur Gewährung von Steuerbegünstigungen stellt; denn der Gesetzgeber hat das für die Steuerbegünstigung Grundlegende selbst normiert. Gegenstand, Inhalt, Zweck und Ausmaß dieser Ermächtigung genügen auch den rechtsstaatlichen Anforderungen, weil sie hinreichend bestimmt und begrenzt sind.
3. Überblick über die Steuerbefreiung nach dem Auslandstätigkeitserlass
Damit die Tätigkeit eines Arbeitnehmers begünstigt ist, muss die Auslandstätigkeit
- für einen EU-/EWR-Arbeitgeber (s. Ausführungen unter 4.) ausgeübt werden,
- eine begünstigte Tätigkeit (s. Ausführungen unter 5.) sein,
- die eine Mindestdauer von 3 Monate hat (s. Ausführungen unter 7.),
- in einem Staat ausgeübt werden, mit dem kein DBA geschlossen wurde (im Folgenden: ATE-Staat; s. beispielhafte Aufzählung unter 1.) und
- in der Lohnbuchhaltung vom Arbeitgeber gesondert aufgezeichnet werden, der sich darüber hinaus gegenüber dem Betriebsstätten-FA verpflichten muss, ein besonderes LSt-Abzugsverfahren durchzuführen (s. Ausführungen unter 11.).
Beispiel
Ist die Tätigkeit eines selbständigen Ingenieurs zu beurteilen, greift der ATE 2022 schon deshalb nicht, weil dieser nur für Arbeitnehmer gilt. Auf Gewinneinkünfte kann der sog. Pauschalierungserlass Anwendung finden.
4. EU-/EWR-Arbeitgeber
Der Arbeitgeber muss Sitz, Geschäftsleitung, Betriebsstätte oder einen ständigen Vertreter in einem EU-/EWR-Staat haben (ATE 2022 Rz. 1).
Nunmehr ausdrücklich enthaltener unionsrechtlicher Bezug: Der jetzt ausdrücklich enthaltene unionsrechtliche Bezug ist eine Reaktion der Finanzverwaltung auf das Urteil des EuGH in der Sache Petersen. Danach ist es unionsrechtswidrig, wenn der Arbeitslohn eines in Deutschland wohnenden – und damit unbeschränkt steuerpflichtigen – Arbeitnehmers für eine begünstigte Tätigkeit in einem ATE-Staat nur dann nach dem ATE begünstigt is...