Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundfreibetrag 1988 verfassungsgemäß
Leitsatz (redaktionell)
Gegen die Höhe des Grundfreibetrages 1988 (§ 32a Abs. 1 Nr. 1 EStG) bestehen keine verfassungsmäßigen Bedenken.
Normenkette
EStG § 32a Abs. 1 Nr. 1; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 14, 20
Streitjahr(e)
1988
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Verfassungsmäßigkeit des Grundfreibetrages nach § 32a Abs.1 Nr. 1 EStG.
Mit Bescheid vom 31.05.1989 setzte das Finanzamt (FA) für die Kläger ein zu versteuerndes Einkommen von DM 60.648 und eine darauf entfallende Einkommensteuer von DM 12.348 entsprechend der Splitting-Tabelle fest.
Hiergegen richtet sich die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage.
Die Kläger vertreten die Auffassung, daß der Grundfreibetrag, der im Streitjahr für Verheiratete DM 9.504 betrug, zu niedrig bemessen sei. Es würden deshalb auch solche Einkommensteile der Besteuerung unterworfen, die das Existenzminimum berührten. Zweck des Grundfreibetrages sei es jedoch, dieses Existenzminimum nicht anzutasten, um dadurch den notwendigen Lebensunterhalt des Steuerpflichtigen für Nahrung, Kleidung und Wohnung abzudecken.
Da dies beim Grundfreibetrag nicht gewährleistet sei, ergäbe sich ein Verstoß gegen das aus Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) abzuleitende Gebot der Steuergerechtigkeit sowie gegen das Sozialstaatsgebot (Art. 20 GG) und auch gegen die Einkommensgarantie des Art. 14 GG.
Ein realitätsgerechter Grundfreibetrag, so meinen die Kläger, müsse sich demgegenüber am sozialhilferechtlichen Begriff des Existenzminimums orientieren. Unter Berücksichtigung der Regelsätze des Sozialhilferechtes und der Zuschläge für Ernährung, Wohnung, Heizung und ähnlichem müßte für Ledige ein Grundfreibetrag von DM 10.000 und für Verheiratete ein solcher von DM 16.000 zugrunde gelegt werden.
Die Kläger beantragen,
den angefochtenen Einkommensteuerbescheid 1988 vom 31. Mai 1989 zu ändern und die Steuer neu festzusetzen, wobei der Grundfreibetrag bei Anwendung der Splitting-Tabelle DM 16.000 betragen soll.
Das Finanzamt beantragt,
die Klage abzuweisen.
Es hält die Regelung über den Grundfreibetrag für verfassungsgemäß.
Der Prozeßbevollmächtigte der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung vom 6. Oktober 1989 beantragt, den Streitfall zu vertagen und die mündliche Verhandlung aus Gründen der Prozeßökonomie auf die Fälle mit dem Aktenzeichen VIII 479/89 und VIII 496/89 zu beschränken. Der Senat hat diesen Antrag als unbegründet zurückgewiesen und den entsprechenden Beschluß in der Verhandlung vom 6. Oktober 1989 verkündet.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten im einzelnen wird auf die zwischen ihnen im Einspruchs- und Klageverfahren gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet.
1. Eine Vertagung des anberaumten Termins zur mündlichen Verhandlung entsprechend § 227 ZPO kam deshalb nicht in Betracht, weil erhebliche Gründe, die eine Vertagung hätten rechtfertigen können, nach Auffassung des Senats nicht vorlagen. Der Meinung des Prozeßbevollmächtigten der Kläger, wonach es aus Gründen der Prozeßökonomie geboten sei, hinsichtlich der anstehenden Streitfrage lediglich ein oder zwei sog. Musterverfahren zu entscheiden und im übrigen eine höchstrichterliche Entscheidung abzuwarten, vermochte der Senat nicht zu folgen. Dies mag zwar im Einzelfall ein erheblicher Grund für eine Vertagung oder sogar für ein Ruhen des Verfahrens sein; für die hier zu entscheidende Frage der Verfassungsmäßigkeit des Grundfreibetrages ist dieser Grund nach Überzeugung des Senats jedoch unerheblich.
Da der Grundfreibetrag jeden Steuerpflichtigen betrifft und somit auch in jedem Urteil hierüber mitentschieden wird, ist der Senat schon deshalb gehalten, alle insofern anhängigen Verfahren zu entscheiden. Hätte er sich demgegenüber auf einige wenige Musterverfahren beschränkt und in den übrigen Fällen ein Ruhen des Verfahrens angeordnet, so hätte er angesichts der vorgeschilderten großen Breitenwirkung dieser Streitfrage bis zu einer höchstrichterlichen Entscheidung überhaupt kein Verfahren mehr entscheiden dürfen. Dies aber widerspricht gerade auch der Prozeßökonomie und hätte vor allem auch einen vorübergehenden Stillstand der Rechtspflege zur Folge gehabt.
2. Materiell-rechtlich hat die Klage keinen Erfolg, weil § 32a Abs. 1 Nr. 1 EStG nicht gegen Vorschriften des Verfassungsrechts verstößt. Insbesondere ist das Gleichheitsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG nicht verletzt.
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) leitet aus Art. 3 Abs. 1 GG das Gebot der Steuergerechtigkeit und daraus folgend den Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ab (vgl. BVerfG-Beschluß vom 03.11.1982, BStBl II 1982, 717; Beschluß vom 22.02.1984, BStBl II 1984, 357; Beschluß vom 04.10.1984, BStBl II 1985, 22). Es hat in diesem Zusammenhang mehrfach erklärt, daß dieses Prinzip in besonderem Maße für den Bereich der Einkommensteuer gilt (BVerfG-Beschluß vom 23.11.1976, BStBl II 1977, 135; Beschluß vom 2...