Leitsatz
Es ist ernstlich zweifelhaft, welche Bedeutung der Rechnung und der Bestimmbarkeit des leistenden Unternehmers im Abzugsverfahren nach § 18 Abs. 8, §§ 51 ff. UStDV zukommt und ob die Nullregelung des § 52 Abs. 2 UStDV unter Beachtung des EuGH-Urteils vom 19.9.2001 (Manfred Strobel, Rs. C-454/98) nicht auch bei "Ohne-Rechnung-Geschäften" möglich sein muss.
*Leitsatz nicht amtlich
Normenkette
§ 18 UStG, § 51 UStDV
Sachverhalt
Die Antragstellerin ist als Besitzgesellschaft Organträgerin einer Bauunternehmung GmbH, die ihrerseits Maurerarbeiten durch eine D-Bau Ltd. erbringen ließ. Die D-Bau hatte nur formell ihren Sitz in Großbritannien und übte dort keinerlei wirtschaftliche Aktivitäten aus. Ein Büro oder ein Telefonanschluss waren ebenso wenig feststellbar wie Mitarbeiter. Die D-Bau stellte für die von ihr erbrachten Leistungen Rechnungen ohne Umsatzsteuer aus, die Antragstellerin kam ihrer Zahlungsverpflichtung durch Aushändigung von Barschecks nach.
Das Finanzamt brachte gegenüber der Antragstellerin das Abzugsverfahren zur Anwendung und versagte die Null-Regelung gem. § 52 Abs. 2 UStDV. Sie nahm als leistenden Unternehmer nicht benannte Hintermänner der D-Bau an, so dass die Antragstellerin einen Vorsteuerabzug nicht hätte geltend machen können, wenn in der Rechnung Umsatzsteuer offen ausgewiesen worden wäre.
Entscheidung
Der BFH sieht es unter Beachtung der neueren EuGH-Rechtsprechung als ernstlich zweifelhaft an, ob seine bisherige Rechtsprechung zur Inanspruchnahme der Null-Regelung bei Ohne-Rechnung-Geschäften aufrecht erhalten bleiben kann. Die Inanspruchnahme des Leistungsempfängers als Haftungsschuldner für die Umsatzsteuer verstoße gegen den Grundsatz der Neutralität, wenn der Leistungsempfänger die Umsatzsteuer nicht als Vorsteuer abziehen darf.
Die Richtlinienkonformität des gesamten Abzugsverfahrens stehe dabei auf dem Prüfstand. Im Übrigen gebe es keinen allgemeinen Erfahrungssatz, wonach die unter einer Domiziladresse eingetragene oder sonst als Domizilgesellschaft erkennbare Ltd. im allgemeinen Geschäftsverkehr regelmäßig keine eigenständige aktive Bedeutung habe. Auch Strohmänner könnten als Unternehmer in Betracht kommen.
Hinweis
Der BFH hat bisher die Voraussetzung für die Inanspruchnahme der Null-Regelung – dass keine Rechnung mit gesondertem Ausweis der Steuer vorliegen dürfe – dahingehend interpretiert, dass zwar eine Rechnung vorliegen müsse, diese nur eben keinen Umsatzsteuerausweis beinhalten dürfe. Er hat damit den "Ohne-Rechnung-Geschäften" die Möglichkeit der Null-Regelung versagt.
Die Rechnung musste dabei die Leistung so genau beschreiben, dass eindeutig und leicht nachprüfbar beurteilt werden konnte, über welche Leistung abgerechnet worden ist. Der in der Rechnung bezeichnete leistende Unternehmer brauchte dagegen im Rahmen des Abzugsverfahrens nicht eindeutig und leicht nachprüfbar bestimmbar sein.
Unter Beachtung des Grundsatzes der Neutralität der Umsatzsteuer sieht sich der BFH jetzt aber erheblichen Zweifeln an seiner eigenen Rechtsprechung ausgesetzt, wenn der Leistungsempfänger einerseits das Abzugsverfahren durchführen muss, andererseits ihm aber der Vorsteuerabzug versagt würde. Dies betrifft vor allem diejenigen Fälle, in denen eine sog. Domizilgesellschaft als Leistender vorgeschoben wird. Der Hintermann als eigentlicher Leistungsgeber hat in diesen Fällen über die von ihm erbrachte Leistung nicht abgerechnet.
Beachten Sie bitte, dass durch das SteuerÄndG 2001 das bisherige Abzugsverfahren abgeschafft und durch das neue Rechtsinstitut "Übergang der Steuerschuldnerschaft" im § 13b UStG 2002 ersetzt wird. Gleichzeitig wird damit die Möglichkeit der Null-Regelung ersatzlos beseitigt und durch einen neuen § 15 Abs. 1 Nr. 4 UStG 2002 der Vorsteuerabzug stets im Zeitpunkt und in der Höhe der übergegangenen und entrichteten Umsatzsteuer auch ohne Rechnung gewährt. Der Gesetzgeber hat damit die vom BFH artikulierten Zweifel zugunsten der Neutralität der Umsatzsteuer beseitigt.
Link zur Entscheidung
BFH, Beschluss vom 18.7.2001, V B 198/00