Leitsatz (amtlich)
1. Ein zur Anfechtung berechtigender Inhaltsirrtum im Sinne des § 119 BGB kann darin liegen, dass der (auch rechtskundig beratene) Erklärende über Rechtsfolgen seiner Willenserklärung irrt, weil das Rechtsgeschäft nicht nur die von ihm erstrebten Rechtswirkungen, sondern wesentlich andere als die beabsichtigten Wirkungen erzeugt.
2. Bei einer "lenkenden" Ausschlagung kann der Erklärende wegen Inhaltsirrtums anfechten, wenn das Verfehlen des Lenkungsziels (hier: Konzentration der Erbenstellung bei der Ehefrau des Erblassers, um über den Wegfall der ausschlagenden Personen als Erben die wirtschaftliche Lage eines Berliner Testaments herstellen, das zu errichten zu Lebzeiten der Eheleute unterblieben war) darauf beruht, dass die Erbschaft bei einer anderen Person, als beabsichtigt (hier: Bruder des Erblassers), eintritt.
3. Zur Notwendigkeit einer Zurückverweisung an das Ausgangsgericht gemäß § 69 Abs. 1 Satz 2 FamFG wegen unterbliebener Hinzuziehung eines nach Auffassung des Beschwerdegerichts möglichen gesetzlichen Miterben zum Erbscheinsverfahren.
Normenkette
BGB § 1. Fall, § 119 Abs. 1, § 1945 Abs. 1, § 1953 Abs. 1-2, § 1954 Abs. 1, 2 S. 1, §§ 1955, 1957; FamFG § 69 Abs. 1 S. 2, § 345 Abs. 1 S. 2 Nr. 1, § 345 S. 2
Verfahrensgang
AG Duisburg-Hamborn (Aktenzeichen 5 VI 510/16) |
Tenor
Die angefochtene Entscheidung mit dem ihr zugrundeliegenden Verfahren wird aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens - nach Maßgabe der folgenden Gründe an das Nachlassgericht zurückverwiesen.
Geschäftswert: bis 200.000 EUR
Gründe
I. Der Erblasser, der nicht letztwillig verfügt hatte, hinterließ seine Ehefrau, die Mutter der Beteiligten, sowie zwei Kinder, die Beteiligte und deren Bruder, ferner als Geschwister einen Bruder.
Mit notariell beglaubigter Erklärung vom 9. August 2016 schlugen die Beteiligte und ihr Bruder - für sich selbst sowie jeweils, gemeinsam mit ihrem Ehepartner, für ihren Sohn - die Erbschaft nach dem Erblasser aus. Der Erklärungstext als solcher beschränkte sich je auf die Formulierung: "Wir schlagen aus allen erdenklichen Gründen die Erbschaft hiermit aus."
Am selben Tage wurde durch denselben Notar ein Erbscheinsantrag beurkundet, mit dem die Ehefrau der Erblassers die Erteilung eines sie als Alleinerbin nach dem Erblasser ausweisenden Erbscheins begehrte. Der Antrag wurde beim Nachlassgericht eingereicht. Daraufhin wandte sich dieses mit Schreiben vom 15. August 2016 wie folgt an den beurkundenden Notar:
"in .... kommen nach der Ausschlagung der Erben der ersten Ordnung die Erben der 2. Ordnung in Betracht (Eltern und Geschwister des Verstorbenen). Deren möglicher Wegfall kann nicht durch die eidesstattliche Versicherung nachgewiesen werden, sondern ist durch Urkunden zu belegen."
Am 19. September August 2016 ging die nachfolgende notariell beglaubigte Erklärung beim Nachlassgericht ein:
"Anlässlich der Nachlassregelung nach dem Tod meines Vaters haben wir uns an den Notar .... in Oberhausen gewandt.
Ziel unserer Beratung war zu erreichen, dass unsere Mutter zunächst alleinige Erbin wird, mein Bruder und ich selbst die Möglichkeit der Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen erhalten, und uns jedenfalls der gesamte Nachlass zufällt nach dem Tod unserer Mutter.
Der Notar empfahl den Weg der Erbausschlagung durch die Kinder und Enkelkinder als Lösung, die unseren Vorstellungen genau Rechnung tragen würde. Das Vorhandensein eines Bruders des Erblassers sowie seiner Söhne stelle kein Problem dar.
Durch das Schreiben des Amtsgerichts Duisburg-Hamborn vom 15.08.2016, welches durch den Notar .... mit Schreiben vom 19.08.2016 an unsere Mutter übermittelt wurde, haben wir Kenntnis davon erhalten, dass durch die von uns gewählte Lösung keineswegs der gesamte Nachlass unserer Mutter zufällt, sondern durch die Ausschlagung auch der Bruder unseres Vaters zu einem Viertel erbberechtigt wurde. Damit kann mir und meinem Bruder nach dem Tode unserer Mutter nicht mehr der gesamte Nachlass unseres Vaters zufallen. Im Rahmen der daraufhin eingeholten Beratung musste ich feststellen, dass ich durch die Ausschlagung des gesetzlichen Erbrechts zudem selbst von Pflichtteilsansprüchen ausgeschlossen bin.
Ich erkläre daher sowohl für die in meinem Namen als auch für die namens meines minderjährigen Kindes .... abgegebene Erklärung die Anfechtung der Ausschlagung der Erbschaft wegen Irrtum."
Gestützt auf diese Anfechtung, hat die Beteiligte einen (gemeinschaftlichen) Erbschein beantragt, der ihre Mutter und sie als gesetzliche Miterbinnen zu je 1/2 Anteil ausweist.
Diesen Antrag hat das Nachlassgericht durch die angefochtene Entscheidung zurückgewiesen, weil die Beteiligte ihre Erbausschlagung nicht wirksam angefochten habe, da sie sich in einem unbeachtlichen Motivirrtum befunden habe.
Gegen diesen ihren Verfahrensbevollmächtigten am 6. Juni 2017 zugestellten Beschluss wendet sich die Beteiligte mit ihrem am 14. Juni 2017 bei Gericht eingegangenen Rechtsmit...