Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachlasspflegschaft bei Mehrheit von Erben
Leitsatz (amtlich)
1. Wenn eine Mehrheit von Erben in Betracht kommt, ist es für jedes Erbteil und jeden möglichen Erben gesondert zu prüfen, ob die Voraussetzungen einer Nachlasspflegschaft vorliegen. Sind nur einzelne Erben unbekannt, kann nicht etwa eine Gesamtpflegschaft angeordnet werden, sondern nur eine Teilpflegschaft für diesen unbekannten Erben, wenn die Voraussetzungen im Übrigen insoweit vorliegen.
2. Zur Frage, wann statt eines Nachlasspflegers ein Abwesenheitspfleger zu bestellen ist.
Normenkette
BGB §§ 1960-1961, 1911
Verfahrensgang
AG Michelstadt (Beschluss vom 01.07.2015) |
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird abgeändert.
Für die unbekannten Erben - mit Ausnahme des Beteiligten zu 2. - des am ... 2012 in ... verstorbenen Z, geboren am ... 1914 in ..., zuletzt wohnhaft in Stadt1, Straße1, wird Teilnachlasspflegschaft angeordnet.
Die Auswahl und die Bestellung des Nachlasspflegers wird dem Nachlassgericht übertragen.
Der Aufgabenkreis des zu bestimmenden Nachlasspflegers beschränkt sich auf die Vertretung der unbekannten Erben gegenüber der Geltendmachung und Durchsetzung von Ansprüchen der Antragstellerin gegenüber dem Nachlass.
Eine Erstattung notwendiger Auslagen im Beschwerdeverfahren findet nicht statt.
Gründe
I. Der Erblasser war verheiratet; seine Ehefrau Y ist vorverstorben. Ebenfalls vorverstorben ist eine Tochter des Erblassers X. Es existieren drei Enkel des Erblassers, der Beteiligte zu 2., Herr A und Frau B. Letztere ist jedenfalls unbekannten Aufenthalts. Der Erblasser hat ein maschinengeschriebenes Testament vom ... 08.2009 hinterlassen (vgl. Bl. 3 der Testamentsakten AG. Az .../13). Der Erblasser ist noch im Grundbuch von Stadt2, Blatt ..., Abt. I, lfd. Nr. 1b, als Miteigentümer zu 1/2 eingetragen; laut Bestandsverzeichnis handelt es sich hierbei um eine Gebäude- und Freifläche Straße1 in der Gemarkung Stadt2.
Herr A hat zu Protokoll des AG Aurich - Nachlassgericht - am 17.12.2014 -Bl. 27 der Testamentsakten) die Erbschaft ausgeschlagen. Er hat -wie im Beschwerdeverfahren mitgeteilt worden ist - zwei Kinder, C und D.
Mit Schreiben vom 29.07.2014 (Bl. 52 d.A.) und nochmals am 15.10.2014 (Bl. 54 d.A.), zuletzt vertreten durch die Stadt3 - Vollstreckungsstelle -, hat die Antragstellerin eine Nachlasspflegschaft gemäß § 1961 BGB zur Geltendmachung von Grundbesitzabgaben gegen die unbekannten Erben des Erblassers beantragt. Nachdem das Nachlassgericht mit Verfügungen vom 02.03.2015 (Bl. 56 d.A.) und 17.06.2015 (Bl. 66 d.A.) darauf hingewiesen hatte, dass eine Nachlasspflegschaft nicht in Betracht käme, weil der Beteiligte zu 2. als Erbe bekannt sei und die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 19.06.2015 (Bl. 66 d.A.) an ihrem Antrag festgehalten hatte, hat der Rechtspfleger beim Nachlassgericht durch den angefochtenen Beschluss (Bl. 67 d.A.), auf dessen Einzelheiten verwiesen wird, den Antrag der Gemeinde Stadt1, vertreten durch die vollmachtlose Prozessbevollmächtigte, die Stadt Stadt3, auf Einrichtung einer Nachlasspflegschaft zurückgewiesen. Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt, dass kein Fall des § 1960 Abs. 1 BGB vorliege. Es finde gesetzliche Erbfolge Anwendung. Die gesetzlichen Erben seien bekannt. A habe die Erbschaft ausgeschlagen. B sei unbekannten Aufenthalts.
Gegen diesen sowohl der Gemeinde Stadt1 als auch der Stadt Stadt3 am 14.07.2015 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin mit am 27.07.2015 eingegangenem Schriftsatz vom 22.07.2015 (Bl. 72 d.A.), auf den verwiesen wird, Beschwerde eingelegt. Das Nachlassgericht hat der Beschwerde ausweislich seines Beschlusses vom 29.07.2015 (Bl. 74 d.A.) nicht abgeholfen und hat sie dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.
Der Senat hat durch Verfügung vom 13.08.2015 (Bl. 78 d.A.) rechtliche Hinweise erteilt, auf die die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 31.08.2015 (Bl. 83 d.A.) reagiert hat. Der Beteiligte zu 2. hat sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert. Wegen des Sachverhalts im Übrigen wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II. Die Beschwerde der Antragstellerin ist gemäß § 58 Abs. 1 FamFG statthaft und auch ansonsten zulässig, so insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden. An der Vertretungsbefugnis der Stadt Stadt3 für die Gemeinde Stadt1 - die Antragstellerin - bestehen nach dem Schriftsatz vom 31.08.2015 keinerlei Bedenken. Insbesondere ist insoweit eine schriftliche Vollmacht vorgelegt worden. Auch übersteigt der Wert des Beschwerdegegenstandes im Sinne des § 61 Abs. 1 FamFG nach den Angaben in diesem Schriftsatz 600,-- EUR.
Die Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Die Voraussetzungen der §§ 1961, 1960 BGB für die Anordnung einer Nachlasspflegschaft liegen entgegen der Rechtsauffassung des Nachlassgerichts vor.
Nach § 1961 BGB hat das Nachlassgericht in den Fällen des § 1960 Abs. 1 BGB einen Nachlasspfleger zu bestellen, wenn die Bestellung zum Zwecke der gerichtlichen Geltendmachung eines Anspruchs, der sich gegen den Nachlass richtet...