Leitsatz (amtlich)
Gefährdungshaftung des Tierhalters für einen regungslos schlafend im Verkehrsraum liegenden Hund.
Normenkette
BGB § 833
Verfahrensgang
LG Hagen (Urteil vom 24.05.2012; Aktenzeichen 9 O 286/11) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 24.5.2012 verkündete Grund- und Teilurteil der 9. Zivilkammer des LG Hagen teilweise abgeändert.
Die Klage ist hinsichtlich der Klageanträge 1. bis 4. dem Grunde nach gerechtfertigt.
Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin alle künftigen materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, die im kausalen Zusammenhang mit dem Sturz der Klägerin vom 28.8.2009 in den Geschäftsräumlichkeiten der Beklagten zu 2. stehen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.
Die weiter gehende Klage (Feststellungsantrag zu 6.) bleibt abgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Beklagten als Gesamtschuldner. Über die erstinstanzlichen Kosten hat das LG im Schlussurteil zu befinden.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagten dürfen die Vollstreckung abwenden durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe
I. Gemäß § 540 I ZPO wird auf die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils Bezug genommen, soweit sich aus dem Nachfolgenden nichts Anderes ergibt.
Mit den gegen dieses Urteil gerichteten Berufungen wiederholen und vertiefen die drei Parteien ihr erstinstanzliches Vorbringen, soweit das LG gegen sie entschieden hat.
Die Klägerin nimmt die Abweisung des Feststellungsantrags zu 6. hin, verfolgt aber die Klageanträge zu 1. bis 5. weiter, weil die Beklagte zu 1. ihr gegenüber als Halterin des Schäferhundes hafte und ferner der Klägerin kein Mitverschulden zuzurechnen sei, wie im Einzelnen vorgetragen wird.
Die Klägerin beantragt,
I. das Urteil des LG abzuändern und
1. die Klageanträge zu 1. bis 4. dem Grunde nach vollumfänglich für gerechtfertigt zu erkennen,
2. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihr alle künftigen materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, die im kausalen Zusammenhang mit ihrem Sturz vom 28.8.2009 in den Geschäftsräumlichkeiten der Beklagten zu 2. stehen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen,
II. die Berufungen beider Beklagten zurückzuweisen.
Die Beklagten beantragen,
I. das Urteil des LG abzuändern und die jeweils gegen sie gerichtete Klage insgesamt abzuweisen,
II. die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Die Beklagte zu 2. wendet sich in Bezug auf den jetzigen Klageantrag zu 2. (ursprgl. zu 5.) schon gegen das Bestehen eines Feststellungsinteresses der Klägerin hinsichtlich künftiger Schäden, weil ihre Verletzungen ausgeheilt seien und kein weiterer Schaden drohe. In der Sache greife keine Tierhalterhaftung ein; beide Beklagten meinen, sie hätten keine Verkehrssicherungspflicht hinsichtlich des Hundes gehabt und eine solche hätten sie gegebenenfalls nicht, zumindest nicht schuldhaft, verletzt. Die Beklagte zu 2. habe die Beklagte zu 1. als ihre damalige Ladenangestellte ordnungsgemäß ausgewählt und überwacht; abgesehen davon habe es laut Beklagter zu 2. auch an einem inneren Zusammenhang zwischen der Arbeitstätigkeit der Beklagten zu 1. und der Anwesenheit ihres Hundes im Ladengeschäft gefehlt. Die Klägerin müsse sich schließlich ein vollständig überwiegendes Mitverschulden an ihrem Schaden zurechnen lassen, weil sie unsorgsam gegangen sei, deshalb den Hund übersehen habe und zu Fall gekommen sei.
Soweit ihnen günstig, verteidigen die Parteien das Urteil des LG.
Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und die Erklärungen zu Protokoll des LG Bezug genommen.
Der Senat hat die Parteien zum Schadenshergang und namentlich die Beklagte zu 1. zum unmittelbaren Vorgeschehen angehört; s. zum Ergebnis unten II.1. b).
II. Die Berufungen sind zulässig. Die Berufung der Klägerin ist begründet, die Berufungen beider Beklagten haben keinen Erfolg.
1. Die auf Zahlung gerichteten Klageanträge zu 1. bis 4. sind zulässig und dem Grunde nach ohne Einschränkung begründet. Der Klägerin stehen gegen die Beklagten als Gesamtschuldner (§ 421 BGB) Ansprüche auf Schadensersatz und Schmerzensgeld zu, welche nicht durch ein Mitverschulden vermindert werden.
a) Die Beklagte zu 1. trifft als Halterin des Schäferhundes, insoweit abweichend von der Ansicht des LG, bereits die verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung nach den §§ 833 S. 1, 249 I, 253 II BGB (Tierhalterhaftung).
Es ist auf die tierimmanente Gefahr des Hundes zurückzuführen, dass die Klägerin unstreitig beim Verlassen des Ladenlokals über ihn stürzte und sich am rechten Knie verletzte. Bei der Rechtsgutverletzung der Geschädigten hat sich gerade die dem Tier typischerweise anha...