Entscheidungsstichwort (Thema)
Schadensersatzanspruch, Anlageberatung, Insolvenzverfahren, Anlageentscheidung, Anleger, Berichterstattung, Arzthaftung, Pflichtverletzung, Aktien, Insolvenzantrag, Gesellschaft, Berufungsverfahren, Haftung, Erstattung, einstweiligen Rechtsschutzes, Benennung des Zeugen
Verfahrensgang
LG München I (Aktenzeichen 29 O 3948/21) |
Tenor
Nach vorläufiger Würdigung der Sach- und Rechtslage weist der Senat - in Übereinstimmung mit entsprechenden Hinweisen, die der 8. Zivilsenat in Parallelverfahren erteilt hat - darauf hin, dass das Verfahren aller Voraussicht nach der mündlichen Verhandlung bedarf, weil die Entscheidung des Landgerichts - wie in zahlreichen Parallelverfahren - an Rechts- und Verfahrensfehlern leiden dürfte, durch die eine sehr umfangreiche Beweisaufnahme in erster Instanz vermieden wurde.
Gründe
Folgendes ist dazu auszuführen:
I. Die haftungsbegründende Kausalität zwischen den behaupteten Pflichtverletzungen der Beklagten bei den Abschlussprüfungen und dem behaupteten Schaden dürfte entgegen der Auffassung des Landgerichts wohl nicht zu verneinen sein:
I. Zwar hat das Landgericht die konkrete Kausalität eines - ausdrücklich unterstellt - fehlerhaften Bestätigungsvermerks der Beklagten im vorliegenden Fall zutreffend verneint.
I) Der BGH hat hierzu ausgeführt, dass die von ihm entwickelten Grundsätze über die Beeinflussung der Anlageentscheidung durch Prospektfehler unabhängig davon gelten, ob das Schadensersatzbegehren auf vertragliche oder deliktische Ansprüche gestützt wird. Denn es entspricht der Lebenserfahrung, dass ein Prospektfehler auch ohne Kenntnisnahme des Prospekts durch den Anleger für die Anlageentscheidung ursächlich wird, wenn der Prospekt entsprechend dem Vertriebskonzept der Fondsgesellschaft von den Anlagevermittlern als Arbeitsgrundlage verwendet wird. Dies gilt auch für die Haftung eines Wirtschaftsprüfers für unrichtige Bestätigungsvermerke, die in Prospekten Verwendung gefunden haben. Denn auch dann sind die im Prospekt abgedruckten Bestätigungsvermerke aufgrund der Verwendung des Prospekts entsprechend dem Vertriebskonzept durch Anlagevermittler auch Grundlage der Anlageentscheidung geworden (BGH vom 12.3.2020 - VII ZR 236/19, Rz. 39 ff.)
Die Annahme eines Anscheinsbeweises nach diesen Rechtsgrundsätzen würde somit voraussetzen, dass ein - unterstellt - unrichtiger Bestätigungsvermerk der Beklagten Grundlage der Anlageentscheidung der Klagepartei geworden ist - sei es durch eine darauf gestützte Anlageberatung oder -vermittlung, sei es durch eigene Nachforschungen.
I) Das hat das Landgericht hier zutreffend verneint. Es hat festgestellt, dass unstreitig kein Prospektmaterial existierte (Seite 8 EU), mithin die Klagepartei nicht prospektgestützt beraten wurde. Dass die Klagepartei den Bestätigungsvermerk der Beklagten vor der Anlageentscheidung zur Kenntnis genommen hat, wurde nach den landgerichtlichen Feststellungen nicht behauptet.
I. Entgegen der Auffassung des Landgerichts kann aber eine Kausalitätsvermutung wegen einer durch die - unterstellt - fehlerhaften Bestätigungsvermerke der Beklagten hervorgerufenen positiven Anlagestimmung wohl nicht verneint werden:
I) Nach der Rspr. des BGH wird ein Kausalzusammenhang zwischen einem Unternehmensbericht und dem Kaufentschluss der Anleger vermutet, wenn die Aktien nach Veröffentlichung eines Unternehmensberichts erworben worden sind. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Anleger den Bericht gelesen oder gekannt hat. Ausschlaggebend ist, dass der Bericht die Einschätzung eines Wertpapiers in Fachkreisen mitbestimmt und damit eine Anlagestimmung erzeugt. Diese Stimmung kann der Erwerber für sich in Anspruch nehmen. Sie endet, wenn im Laufe der Zeit andere Faktoren für die Einschätzung des Wertpapiers bestimmend werden, etwa eine wesentliche Änderung des Börsenindex, der Konjunktureinschätzung oder aber neuere Unternehmensdaten wie etwa ein Jahresabschluss. Die Dauer der von einem Unternehmensbericht ausgehenden Anlagestimmung lässt sich danach nicht allgemeingültig festlegen; in aller Regel wird die Anlagestimmung aber spätestens ein Jahr nach Veröffentlichung des Unternehmensberichts nicht mehr bestehen (BGH, Urteil vom 14.07.1998 - XI ZR 173/97). Soweit das Gericht hierzu keine eigene Sachkunde vorweisen kann, muss zu dieser Frage i.d.R. ein Sachverständigengutachten erholt werden (vgl. z.B. BGH, Urteil vom 03.03.2008 - II ZR 310/06, Comroad VIII, Juris-Rz. 27).
I) Nach vorläufiger Einschätzung des Senats dürften die hier vorgelegten uneingeschränkten Bestätigungsvermerke der Beklagten - jedenfalls bei einem DAX-Unternehmen - wohl grundsätzlich geeignet gewesen sein, eine positive Anlagestimmung zu erzeugen.
Der BGH hat die Veröffentlichung neuerer Unternehmensdaten wie etwa eines Jahresabschlusses ausdrücklich für geeignet gehalten, um eine positive Anlagestimmung wieder zu beenden. Dann muss die Veröffentlichung eines solchen Jahresabschlusses mit positivem Testat im Umkehrschluss aber wohl auch geeignet...