Prof. Dr. Franceska Werth
Leitsatz
1. Treten Angehörige der steuerberatenden Berufe für einen Steuerpflichtigen gegenüber Finanzbehörden auf, wird auch vor der Einfügung des § 80 Abs. 2 Satz 1 AO i.d.F. des Gesetzes zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens vom 18.07.2016 (BGBl I 2016, 1679) mit Wirkung vom 01.01.2017 die ordnungsgemäße Bevollmächtigung ohne Vorlage einer schriftlichen Vollmacht vermutet.
2. Diese Vermutung gilt trotz Vorliegens einer auf bestimmte Zeiträume beschränkten schriftlichen Vollmacht auch für außerhalb der schriftlichen Vollmacht liegende Zeiträume, wenn der Angehörige der steuerberatenden Berufe für diese Zeiträume gegenüber dem FA wie ein Bevollmächtigter auftritt.
Normenkette
§ 80 Abs. 1 Sätze 1 und 3, Abs. 2 Satz 1, § 122 Abs. 1 Satz 3 AO
Sachverhalt
Streitig war im vorliegenden Fall die Frage, ob der ESt-Bescheid für das Streitjahr 2004 vor Ablauf der Festsetzungsverjährung ordnungsgemäß bekannt gegeben wurde. Dies war zweifelhaft, da die Prozessbevollmächtigten der Kläger beim FA lediglich hinsichtlich der Erklärung von Einkünften für die Jahre 2008 bis 2011 sowie für die ESt 2012 schriftliche Vollmachten vorgelegt hatten.
Im Verlauf der Veranlagung forderte das FA für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung die Prozessbevollmächtigten jedoch auf, die Kapitaleinkünfte für die zu diesem Zeitpunkt noch nicht festsetzungsverjährten Jahre 2004 bis 2007 zu erklären. Die Prozessbevollmächtigten reichten sodann die ergänzenden Anlagen KAP zur Nacherklärung von Einkünften für die Jahre 2004 bis 2011 sowie diesbezügliche Bankunterlagen ein. Sie wiesen darauf hin, dass es sich bei den gefertigten Anlagen lediglich um ergänzende Anlagen zu den seinerzeit abgegebenen Steuererklärungen handele, sie die Anlagen sorgfältig erstellt hätten und für Rückfragen zur Verfügung stünden.
Das FA änderte daraufhin die ESt-Festsetzung für 2004 und stellte den geänderten ESt-Bescheid vor Ablauf der Festsetzungsfrist den Prozessbevollmächtigten zu. Diese leiteten den ESt-Bescheid für das Streitjahr nach Ablauf der Festsetzungsfrist an die Kläger weiter. Die Kläger, nach deren Auffassung die Prozessbevollmächtigten nur für die Jahre 2008 bis 2011 bevollmächtigt waren und der ESt-Bescheid für 2004 daher nicht vor Ablauf der Festsetzungsfrist wirksam bekannt gegeben wurde, legten hiergegen Einspruch ein und beantragten die Feststellung der Nichtigkeit des ESt-Bescheids. Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg (FG Köln, Urteil vom 23.5.2019, 1 K 999/16, Haufe-Index 13318655, EFG 2019, 1501).
Entscheidung
Der BFH hat die Revision als unbegründet zurückgewiesen.
Hinweis
1. Der BFH hat in seiner Entscheidung noch einmal klargestellt, dass eine Bevollmächtigung i.S.d. § 122 Abs. 1 Satz 3 AO nicht schriftlich vorliegen muss, sondern sich aus den Umständen ergeben kann. Das FA hatte danach sein Ermessen, den Steuerbescheid für 2004 nach § 122 Abs. 1 Satz 3 AO auch ohne das Vorliegen einer schriftlichen Empfangsvollmacht nach § 80 Abs. 1 Satz 3 AO dem Prozessbevollmächtigten anstatt den Klägern zuzustellen, fehlerfrei ausgeübt.
2. Bei Personen und Vereinigungen i.S.d. §§ 3 und 4 Nr. 11 StBerG, die für den Steuerpflichtigen handeln, wird gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 AO i.d.F. des Gesetzes zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens vom 18.7.2016 (BGBl I 2016, 1679) eine ordnungsgemäße Bevollmächtigung vermutet. Zwar wurde diese Regelung erst mit Wirkung vom 1.1.2017 (Art. 97 § 1 Abs. 11 EGAO) und somit nach der hier streitigen Bekanntgabe des ESt-Bescheids am 21.12.2015 eingeführt. Allerdings wurde eine solche Vermutung für die Vollmacht bereits zuvor durch die Rechtsprechung anerkannt. Die Einführung des neuen § 80 Abs. 2 Satz 1 AO sollte diese Grundsätze nicht verändern, sondern lediglich "gesetzlich verankern".
3. Das FA konnte nach diesen Grundsätzen davon ausgehen, dass die Kläger die Prozessbevollmächtigten auch für das Streitjahr bevollmächtigt hatten, für sie gegenüber dem FA tätig zu sein und Bescheide in Empfang zu nehmen. Hierfür sprach, dass die Prozessbevollmächtigten als Rechtsanwalt und Steuerberater für die Kläger bereits für die Jahre 2008 bis 2012 gegenüber dem FA tätig geworden waren und für diese Jahre eine schriftliche Vollmacht vorgelegt hatten. Aufgrund der Korrespondenz zwischen den Prozessbevollmächtigten und der Steuerfahndung in der Folgezeit durfte das FA annehmen, dass die den Prozessbevollmächtigten als Angehörige der steuerberatenden Berufe erteilte Vollmacht auf die Jahre 2004 bis 2007 erweitert wurde und auch insoweit eine Bevollmächtigung vorlag. Denn bei der Aufforderung an die Prozessbevollmächtigten, (auch) eine Erklärung für die Kapitaleinkünfte für die noch nicht festsetzungsverjährten Jahre 2004 bis 2007 abzugeben, richtete sich die Steuerfahndung erkennbar an die Prozessbevollmächtigten in ihrer Funktion als Bevollmächtigte der Kläger. Zudem durfte das FA das Antwortschreiben der Prozessbevollmächtigten so verstehen, dass die Prozessbevollmächtigten auch für das Jahr 2004 als Bevollmächtigte der Kläger auftra...