Leitsatz
1. Zu einer wirtschaftlichen Eingliederung durch Darlehen kann es nur kommen, wenn diese im Rahmen eines Unternehmens gewährt werden. Darlehen durch entgeltliches Stehenlassen von Ansprüchen reichen nicht.
2. Hat der Mehrheitsgesellschafter die Umsätze der Tochtergesellschaft für das FA erkennbar in seiner Steueranmeldung erfasst, obwohl die Voraussetzungen für eine Organschaft nicht gegeben sind, beginnt die Festsetzungsfrist bei der Tochtergesellschaft gemäß § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem der Mehrheitsgesellschafter die Steueranmeldung abgegeben hat.
Normenkette
§ 2 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 UStG, Art. 9, Art. 11 EGRL 112/2006 (= MwStSystRL), § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO
Sachverhalt
Mehrheitsgesellschafter der Klägerin, einer GmbH, war die M-GmbH. Unternehmensgegenstand der Klägerin war die Produktion von Funkwerbespots, die Synchronisation oder Vertonung von Film- und Videomaterial sowie die Musikproduktion von Tonträgern. Unternehmensgegenstand der M-GmbH war der Handel mit sowie die Vermietung von elektronischen und elektrotechnischen Geräten aller Art und die Beteiligung an anderen Unternehmen aller Art, ferner das Halten und Verwalten solcher Beteiligungen.
Mit Vereinbarung vom 1.7.2007 verpflichteten sich die Klägerin, die M-GmbH, die P-GmbH und die PM-GmbH, untereinander im Wege von Buchungen auf Verrechnungskonten Darlehen zu gewähren, und zwar zu einem Zinssatz von 2 % p.a. über dem jeweils gültigen Basiszinssatz. Die Höhe der von der M-GmbH gewährten Darlehen belief sich auf 66.370,54 EUR (2006), 128.263,14 EUR (2007), 169.731,16 EUR (2008) sowie 252.936,61 EUR (2009). Die der Klägerin von der M-GmbH gewährten Darlehen setzten sich aus von der Klägerin gegenüber der M-GmbH geschuldeten, aber nicht geleisteten Umsatzsteuerzahlungen sowie aus von der Klägerin an die M-GmbH nicht ausgezahlten Gewinnabführungen zusammen. Die von der Klägerin hierfür geschuldeten Zinsen beliefen sich auf 2.146,82 EUR (2007), 9.325,87 EUR (2008) sowie 4.871,26 EUR (2009).
Zudem übernahmen die M-GmbH sowie ihr Geschäftsführer mehrere Bürgschaften für Bankdarlehen der Klägerin. Für die Bürgschaften wurde keine Vergütung vereinbart. Weiter lagen auch Sale-and-lease-back-Geschäfte vor.
Das FA versagte die Organschaft mangels wirtschaftlicher Eingliederung und erließ entsprechende Änderungsbescheide. Einspruch und Klage zum FG hatten Erfolg (FG München, Urteil vom 13.9.2018, 3 K 949/16, Haufe-Index 12204836, EFG 2018, 2077).
Entscheidung
Der BFH bestätigte die Entscheidung der Vorinstanz. Eine wirtschaftliche Eingliederung habe sich insbesondere nicht im Rahmen einer Darlehensgewährung durch das entgeltliche Stehenlassen von Ansprüchen ergeben. Es handele sich um eine Darlehensgewährung zwischen zwei Personen ohne Leistungsangebot am allgemeinen Markt. Es liege auch kein anderweitiger Zusammenhang zu einer unternehmerischen Tätigkeit im Sinne einer unmittelbaren, dauerhaften und notwendigen Erweiterung einer steuerbaren Tätigkeit vor. Die Kreditgewährung habe sich lediglich im Verhältnis von Gesellschafter und Gesellschaft abgespielt. Die Bescheide seien auch vor Eintritt der Festsetzungsverjährung erlassen worden.
Hinweis
1. Für die wirtschaftliche Eingliederung im Rahmen einer Organschaft nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG stellt der BFH darauf ab, dass die Unternehmensbereiche von Organträger und Organgesellschaft miteinander verflochten sind. Dabei kann die wirtschaftliche Eingliederung auf entgeltlichen Leistungen des Mehrheitsgesellschafters (Organträger) gegenüber seiner Tochtergesellschaft (Organgesellschaft) beruhen, wenn diesen für das Unternehmen der Organgesellschaft mehr als nur unwesentliche Bedeutung zukommt. Die Leistungen müssen aber im Rahmen eines Unternehmens und damit im Rahmen einer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit i.S.v. § 2 Abs. 1 Satz 1 UStG zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen nach § 2 Abs. 1 Satz 3 UStG erbracht werden. Unentgeltliche Leistungen des Mehrheitsgesellschafters an seine Tochtergesellschaft begründen demgegenüber keine wirtschaftliche Eingliederung in das Unternehmen des Mehrheitsgesellschafters.
2. Ob unternehmerisch und dabei insbesondere nachhaltig sowie gegen Entgelt erbrachte Leistungen nach § 2 Abs. 1 UStG vorliegen, bestimmt sich nach der Dauer und der Intensität des Tätigwerdens, der Höhe der Entgelte, der Beteiligung am Markt, der Zahl der ausgeführten Umsätze, dem planmäßigen Tätigwerden und dem Unterhalten eines Geschäftslokals.
3. Fehlt es an diesen Voraussetzungen, beruht die Einnahmeerzielung durch Zufluss von Zinsen und anderen Erträgen aus Kapitalanlagen und -beteiligungen nicht auf einer nachhaltigen gewerblichen oder beruflichen Betätigung. Im Hinblick auf die Rechtsformneutralität der Umsatzsteuer, nach der auch juristische Personen nur unter den Bedingungen des § 2 Abs. 1 UStG Unternehmer sind, gilt dies nicht nur für die Darlehensgewährung durch Letztverbraucher, die verzinsliche Bankkonten unterhalten, sondern auch für die Kapitalgesel...