[Ohne Titel]
Harald Dörfler, WP/StB / Stefan Spitz, WP/StB
Der in der Literatur in der Vergangenheit teils heftig kritisierte 90 %-Test des § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG wurde durch den gleich lautenden Erlass der obersten Finanzbehörden der Länder v. 19.6.2024 revolutioniert. In dem Erlass regelt die Finanzverwaltung nicht nur die Anwendung des begrüßenswerten BFH-Urteils II R 49/21, sondern weitet den Anwendungsbereich des Einzelfallurteils deutlich aus. Das bisherige Risiko des Fallbeileffekts für zahlreiche Anwendungsfälle wird dadurch deutlich reduziert. Allerdings werden auch in diesem Erlass einige offene Fragen nicht abschließend geklärt und die Anwendung des § 42 AO für missbräuchliche Gestaltungen droht weiterhin. Der Beitrag analysiert den Ländererlass und zeigt die Auswirkungen für die Beratungspraxis auf.
1. Einleitung
Der in der Literatur in der Vergangenheit teils heftig (vgl. bereits Dörfler/Spitz, ErbStB 2020, 159 ff.) kritisierte 90 %-Test des § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG wurde durch den gleich lautenden Erlass der obersten Finanzbehörden der Länder v. 19.6.2024 (z.B. FinMin. NW v. 19.6.2024 – S 3812b - 4 - 2024 - 15820 - V A 6, ErbStB 2024, 224 [Günther]) revolutioniert. In dem Erlass regelt die Finanzverwaltung nicht nur die Anwendung des begrüßenswerten BFH-Urteils II R 49/21 (BFH v. 13.9.2021 – II R 49/21, BStBl. II 2024, 566 = ErbStB 2024, 30 [Knittel]), sondern weitet den Anwendungsbereich des Einzelfallurteils deutlich aus. Das bisherige Risiko des Fallbeileffekts für zahlreiche Anwendungsfälle wird dadurch deutlich reduziert. Der in der Literatur (vgl. bspw. Korezkij, DStR 2024, 529, 531; Schwind, WPg 2024, 663, 667) erwartete klärende Erlass der Finanzverwaltung ist daher überwiegend positiv zu bewerten. Allerdings werden auch in diesem Erlass einige offene Fragen, etwa die konkrete Anwendung des nun bedeutender werdenden Hauptzwecktests, nicht abschließend geklärt. Zudem droht die Finanzverwaltung, wie bereits der BFH, mit dem Damoklesschwert des § 42 AO für missbräuchliche Gestaltungen. Dies gibt Anlass, den Ländererlass im Folgenden näher zu analysieren und Auswirkungen für die Beratungspraxis darzustellen.
2. Problemstellung und Lösung des BFH
Die Regelung des 90 %-Tests gem. § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG ist die Eingangsvoraussetzung für sämtliche Verschonungsregelungen für unternehmerisches Vermögen nach §§ 13a, 13b, 13c und 28a ErbStG. Sofern das vererbte oder geschenkte Vermögen nach dem 90 %-Test zu mehr als 90 % aus Verwaltungsvermögen besteht, ist der volle Unternehmenswert zu versteuern und eine Verschonung nicht möglich. Problematisch war hier in der Vergangenheit, dass im 90 %-Test die Brutto-Finanzmittel ohne Schuldverrechnung sowie das Verwaltungsvermögen in das Verhältnis zum Unternehmenswert gesetzt wurden. Insbesondere bei Handelsunternehmen konnte dieser Vergleich von Brutto- mit Nettowerten zu stark nachteiligen Ergebnissen führen. Dies soll folgendes Beispiel illustrieren (Fortsetzung des Beispiels 2 von Dörfler/Spitz, ErbStB 2020, 159, 160):
Beispiel 1
Es existieren folgende Feststellungen zum Verwaltungsvermögen einer ABC-GmbH zum Bewertungsstichtag:
Damit ergibt sich folgendes Ergebnis im 90 %-Test nach § 13b Abs. 2 ErbStG:
Verwaltungsvermögen |
1.000.000 EUR |
Brutto-Finanzmittel |
10.000.000 EUR |
Verwaltungsvermögen für 90 %-Test |
11.000.000 EUR |
Verwaltungsvermögen für 90 %-Test |
11.000.000 EUR |
Anteilswert ABC-GmbH |
/12.000.000 EUR |
Ergebnis des 90 %-Tests |
= 91,7 % |
Aufgrund der fehlenden Schuldverrechnung mit den Finanzmitteln ergibt sich eine Quote von 91,7 %, so dass die ABC-GmbH keinerlei erbschaftsteuerliche Verschonung in Anspruch nehmen könnte.
Einen ähnlich gelagerten Fall hatte der BFH zu entscheiden (BFH v. 13.9.2021 – II R 49/21, BStBl. II 2024, 566 = ErbStB 2024, 30 [Knittel]). Hierbei handelte es sich um die schenkweise Übertragung einer GmbH, die ein pharmazeutisches Handelsunternehmen betrieb. Die GmbH bestand den 90 %-Test nicht. Der BFH hat in verfassungskonformer Auslegung den Abzug von Schulden von den Finanzmitteln i.R.d. 90 %-Tests zugelassen, wenn der "Hauptzweck einer Tätigkeit i.S.d. § 15 Abs. 1 Satz 1 EStG dient" (vgl. Rz. 16 des o.g. Urteils). Der BFH stellt demnach den Hauptzwecktest nach § 13b Abs. 4 ErbStG in den Mittelpunkt der Prüfung, ob ein Schuldabzug i.R.d. 90 %-Tests zuzulassen ist (vgl. Rz. 25 des o.g. Urteils). Mit dem Hauptzwecktest sieht der BFH auch etwaige Sorgen über Missbrauchsgedanken als unbegründet an (vgl. Rz. 26 f. des o.g. Urteils). Gleichwohl sieht sich der BFH verpflichtet darauf hinzuweisen, dass in besonders gelagerten Fällen eine Korrektur aufgrund einer missbräuchlichen Gestaltung (§ 42 AO) nicht ausgeschlossen ist (vgl. Rz. 30 des o.g. Urteils).