Leitsatz
1. Eine Rechtsmittelbelehrung, welche die Partnerschaftsgesellschaften als vertretungsberechtigt aufführt, ohne zu erwähnen, dass dies nur dann zutrifft, wenn an der betreffenden Gesellschaft keine Patentanwälte beteiligt sind, setzt trotz ihrer Fehlerhaftigkeit die Rechtsmittelfristen in Lauf; denn sie ist nicht unvollständig und daher nicht geeignet, den Rechtsschutzsuchenden von der Einlegung eines Rechtsbehelfs beim BFH abzuhalten.
2. Führt eine Rechtsmittelbelehrung die niedergelassenen europäischen Rechtsanwälte auf, ohne zugleich die dienstleistenden europäischen Rechtsanwälte zu nennen, ist die Rechtsmittelbelehrung unvollständig und wird die Rechtsbehelfsfrist nicht in Lauf gesetzt, sofern man eine vollständige Aufführung der zum Auftreten vor dem BFH befugten Vertreter als einen notwendigen Bestandteil einer Rechtsmittelbelehrung ansieht. – (Leitsatz redaktionell bearbeitet)
Normenkette
§ 62 Abs. 4, § 55 Abs. 1 FGO, § 56 Abs. 1 StBerG, § 2 Abs. 1, § 25 EuRAG
Sachverhalt
Eine Nichtzulassungsbeschwerde war nicht innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des FG-Urteils begründet worden. Der Prozessbevollmächtigte berief sich aber darauf, dass die Rechtsmittelbelehrung, die das FG (FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 15.11.2011, 11 K 11170/07) erteilt hatte, fehlerhaft sei. Sie nannte als vor dem BFH vertretungsberechtigt Rechtsanwälte und niedergelassene europäische Rechtsanwälte, nicht aber auch die dienstleistenden europäischen Rechtsanwälte, ferner "Partnerschaftsgesellschaften, soweit sie durch die in § 3 Nr. 1 StBerG bezeichneten Personen handeln".
Entscheidung
Der BFH hat die Revision nicht zugelassen, weil der Inhalt der Beschwerdebegründung den gesetzlichen Anforderungen nicht entspreche. Er hat aber Zweifel geäußert, ob durch die vorgenannte Rechtsmittelbelehrung die Beschwerdebegründungsfrist in Lauf gesetzt worden ist.
Hinweis
1. Eine Belehrung über die zum Auftreten vor dem BFH befugten Personen ist gesetzlich nicht vorgeschrieben und es bestehen grundsätzlich Bedenken, Fristvorschriften, zu denen § 55 Abs. 1 FGO gehört, über ihren Wortlaut hinaus nach ihrem Sinn und Zweck erweiternd oder sonst korrigierend auszulegen. Gleichwohl hat der BFH (im Gegensatz zum BVerwG), dem überwiegenden finanzprozessualen Schrifttum folgend, in mehreren Entscheidungen eine Belehrung über die postulationsfähigen Personen für erforderlich erklärt, anderenfalls die Rechtsbehelfsfrist nicht zu laufen beginne. Ob das angeht, konnte der VII. Senat dahinstehen lassen, weil es nicht entscheidungserheblich wurde.
2. Ist eine Rechtsbehelfsbelehrung unvollständig, beginnen die Rechtsbehelfsfristen nicht zu laufen; ob die Unvollständigkeit für eine etwaige Fristversäumnis kausal war, ist dabei ohne Bedeutung.
Zieht eine Rechtsbehelfsbelehrung jedoch den Kreis der postulationsfähigen Personen zu weit, wird gleichwohl die Rechtsbehelfsfrist in Lauf gesetzt!
3. Sollte es sich bei einer vollständigen Aufführung der zum Auftreten vor dem BFH befugten Vertreter nicht um einen notwendigen Bestandteil einer Rechtsmittelbelehrung handeln, bei dessen Fehlen die Rechtsfolge des § 55 Abs. 1 FGO eintritt, sind Fehler der Rechtsmittelbelehrung nur dann von Bedeutung, wenn der Rechtsmittelführer durch sie in seiner Rechtsverfolgung ernstlich beeinträchtigt wird, weil er von der Einlegung eines Rechtsbehelfs abgehalten wird (vgl. BFH, Beschluss vom 9.11.2009, IV B 54/09, BFH/NV 2010, 448).
4. Niedergelassene europäische Rechtsanwälte sind ebenso wie dienstleistende europäische Rechtsanwälte vor dem BFH vertretungsberechtigt. Sie "sind" aber keine Rechtsanwälte, sondern nach dem EuRAG lediglich befugt, unter der Bezeichnung ihres Herkunftslandes die Tätigkeit eines Rechtsanwalts auszuüben. Der Gesetzgeber hat allerdings beide Gruppen europäischer Rechtsanwälte schlicht als Rechtsanwälte angesehen; deshalb dürfte eine Rechtsmittelbelehrung, die als vertretungsbefugt nur "Rechtsanwälte" nennt, nicht zu beanstanden sein.
5. An Partnerschaftsgesellschaften dürfen keine Patentanwälte beteiligt sein, wenn sie vor dem BFH auftreten wollen; denn § 62 Abs. 4 FGO nennt als vertretungsbefugt nur "Partnerschaftsgesellschaften i.S.d. § 3 Nr. 2 StBerG". Eine Verbindung von Patentanwälten mit Steuerberatern ist indes nach § 56 Abs. 1 StBerG nicht unzulässig; die Gesellschaft ist dann nur nicht gem. § 3 Nr. 2 StBerG zur Steuerberatung befugt.
Link zur Entscheidung
BFH, Beschluss vom 20.6.2012 – VII B 221/11