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Dr. Lars H. Haverkamp, LL.M. (Christchurch) / Sara Meinert, LL.M.
Aktuell mehren sich Entscheidungen der Finanzgerichte zum Auskunfts- und Akteneinsichtsrecht im finanzbehördlichen Verfahren. Mit Spannung werden klärende Entscheidungen des BFH erwartet, ob sich aus Art. 15 Abs. 1 DSGVO ein Akteneinsichtsrecht ableiten lässt. Ausnahmslos bejaht hat diese Frage bisher nur das FG Saarland in seiner Entscheidung vom 3.4.2019 (FG Saarl. v. 3.4.2019 – 2 K 1002/16, EFG 2019, 1217). Die Rechtsprechung anderer Finanzgerichte hierzu ist im Ergebnis vergleichsweise restriktiv, wobei eine Auskunft über den Inhalt der Finanzamtsakte grds. nicht vollständig abgelehnt wird. Die Begründungen zum Umfang eines Auskunfts- bzw. Akteneinsichtsrechts sind vielfältig. Gleichwohl sollten sich Steuerpflichtige nicht von einem Antrag auf Akteneinsicht oder jedenfalls auf Auskunft über den Akteninhalt abschrecken lassen. Dieser Beitrag soll eine Hilfestellung geben, worauf Steuerpflichtige im Lichte der FG-Rechtsprechung bei der Antragstellung auf Akteneinsicht und auf Auskunft achten sollten.
I. Überblick: Akteneinsichtsrechts vs. Auskunftsrecht
Akteneinsicht zu nehmen erweist sich regelmäßig als strategisch sinnvolle Maßnahme, weil sich Ermessensfehler oder die (Einzelfall-)Umstände, auf die die Finanzbehörde maßgeblich ihre Entscheidung stützt, u.U. erst aus der Finanzamtsakte ergeben.
Kein Akteneinsichtsanspruch aus der AO: Die AO gewährt Steuerpflichtigen keinen Anspruch auf Akteneinsicht gegenüber der Finanzbehörde. Der mit der Akteneinsicht verbundene Verwaltungsaufwand sei unverhältnismäßig, weil zu schützende Informationen Dritter und behördeninterne Unterlagen aus der Akte ausgeheftet oder geschwärzt werden müssten (BT-Drucks. 7/4292, 24 f.). Abgeleitet aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) i.V.m. dem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) steht den Beteiligten aber zumindest ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung der Behörde über den Antrag auf Akteneinsicht zu (BFH v. 19.3.2013 – II R 17/11, BStBl. II 2013, 639, Rz. 11).
Auskunftsanspruch aus der DSGVO: Durch die DSGVO und ihre Anwendung im Finanzverfahren (§ 2a AO) hat sich die Rechtlage zugunsten des Steuerpflichtigen neu geordnet: Nach Art. 15 Abs. 1 DSGVO hat jedermann einen Auskunftsanspruch gegenüber sog. "Verantwortlichen", wozu auch die Finanzbehörde zählt, über die durch sie gesammelten und verarbeiteten personenbezogenen Daten. Der Verantwortliche hat der betroffenen Person nach Art. 15 Abs. 3 S. 1 DSGVO eine Kopie der personenbezogenen Daten, über die Auskunft zu erteilen ist, zur Verfügung zu stellen. Wird gegenüber der Finanzbehörde Auskunft über die durch sie verarbeiteten personenbezogenen Daten beantragt, sollte hiervon in der Praxis weitgehend der gesamte Inhalt der Akte umfasst sein. Im Einklang mit der EuGH-Rechtsprechung fallen nur personenbezogene Daten Dritter und abstrakte rechtliche Ausführungen nicht unter das Tatbestandsmerkmal der personenbezogenen Daten (EuGH v. 17.7.2014 – C-141/12 und C-372/12, ZD 2014, 515, Rz. 48; FG München v. 3.2.2022 – 15 K 1212/19 – rkr., EFG 2022, 727, Rz. 89).
Beraterhinweis Im Anwendungsbereich des Steuerrechts kommt der Auskunftsanspruch nach Art. 15 Abs. 1 DSGVO einem Akteneinsichtsrecht nahe. Nach allgemeiner Auffassung kann der Auskunftsanspruch auch durch Akteneinsicht erfüllt werden (BMF, Schr. v. 13.1.2020 – IV A 3 - S 0130/19/10017 :004, BStBl. I 2020, 143, Rz. 66). Zu Recht leiten das FG Saarland (FG Saarl. v. 3.4.2019 – 2 K 1002/16, EFG 2019, 1217) und ein Teil der Literatur (s. z.B. Bareither / Großmann / Uterhark, BB 2019, 1111 [1115]; Bleschick, DStR 2018, 1050 [1054]; Jacoby, EFG 2019, 1217, Rz. 10) leitet aus Art. 15 Abs. 1 DSGVO sogar einen gebundenen Anspruch auf Akteneinsicht ab.
II. Allgemein: Analyse der einschlägigen Rechtsprechung
Die Lektüre der Entscheidungen der verschiedenen Finanzgerichte zeigt, dass jedes Finanzgericht individuelle Feststellungen zum Auskunftsanspruch nach Art. 15 Abs. 1 DSGVO trifft. Die Schnittmenge identischer oder ähnlicher Begründungen zum (teilweisen) Ausschluss des Auskunftsrechts ist gering.
Beraterhinweis Steuerpflichtige sollten deshalb dezentral die Entscheidungen des für ihren Auskunftsantrag örtlich zuständigen Finanzgericht analysieren, damit ihr Auskunftsantrag überhaupt Aussicht auf Erfolg haben kann.
III. Akteneinsicht und Auskunft beantragen
1. Zwei unterschiedliche Rechtsgrundlagen
Da für die Akteneinsicht und den Anspruch auf behördliche Auskunft zwei unterschiedliche Rechtsgrundlagen zur Verfügung stehen, empfiehlt es sich, beide Anträge parallel oder stufenweise zu stellen.
2. Antrag auf Akteneinsicht
Auch wenn sich solche Anträge in der Praxis als wenig erfolgreich erweisen, sollten Steuerpflichtige unter Verweis auf Art. 20 Abs. 3 GG (Rechtsstaatsprinzip) i.V.m. dem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) und nur behelfsweise nach Art. 15 Abs. 1 DSGVO, § 2a Abs. 1 S. 1 AO [s. nachfolgend unter...