Der Steuerpflichtige hat es in der Hand, durch Wahl des Veräußerungszeitpunkts zu bestimmen, in welchem Kalenderjahr der Veräußerungsgewinn besteuert werden soll.
Der Veräußerungsgewinn ist im Zeitpunkt der Veräußerung verwirklicht. Er ist dem Kalenderjahr zuzurechnen, in den dieser Realisierungszeitpunkt fällt. Dabei kommt es bei zeitlich gestreckten Veräußerungsvorgängen nicht auf das schuldrechtliche Verpflichtungsgeschäft, sondern das dingliche Erfüllungsgeschäft an. Ohne Bedeutung ist, ob der Veräußerungspreis sofort fällig oder ganz oder teilweise längerfristig gestundet ist und wann der Veräußerungspreis dem Veräußerer tatsächlich zufließt.
Bei einer Übertragung zum Jahreswechsel ("im Schnittpunkt der Jahre"), d. h. mit Ablauf des 31.12. bzw. mit Wirkung vom 1.1., entsteht die Frage, ob der Veräußerungsvorgang dem alten oder neuen Jahr zuzurechnen ist. Nach der Rechtsprechung ist dabei nicht allein auf den Wortlaut des Vertrags abzustellen, sondern unter Würdigung aller Umstände zu entscheiden, welchem Kalenderjahr der Veräußerungsgewinn zuzurechnen ist. Einen Grundsatz, wonach Ereignisse im Schnittpunkt zwischen 2 Tagen immer dem einen oder anderen Tag zuzurechnen sind, gibt es nach Ansicht des BFH nicht. Es ist vielmehr im Einzelfall unter Beachtung aller Umstände zu beurteilen, in welchen Zeitraum das Ereignis gehört.
Progressionswirkung des Einkommensteuertarifs muss beachtet werden
Oft ist das Einkommen nach der Praxisveräußerung oder -aufgabe wesentlich niedriger als bisher. Damit laufender Gewinn und Veräußerungs- oder Aufgabegewinn im Hinblick auf die Progressionswirkung des Einkommensteuertarifs nicht in einem Veranlagungszeitraum anfallen, kann es ratsam sein, die Praxis nicht zum Jahresende, sondern zum Jahresanfang des Folgejahrs, also z. B. am 1.1.2020, zu veräußern oder aufzugeben.
Diese Gestaltung wird vom BFH akzeptiert: Wird im Vertrag über den Verkauf einer freiberuflichen Praxis vereinbart, dass der Erwerber die Praxis mit Wirkung vom 1.1.2020 übernehmen soll und findet auch die Übergabe vereinbarungsgemäß zu Beginn des Jahrs 2020 statt, entsteht der Veräußerungsgewinn erst im Jahr 2020.
Bei der Veräußerung eines Gesellschaftsanteils "mit Wirkung vom 1.1." ist der Veräußerungsgewinn, sofern die Abmachung dieses Zeitpunkts von den Beteiligten klar getroffen und nicht tatsächlich schon früher vollzogen ist, erst in diesem Jahr, nicht schon am 31.12. des Vorjahrs realisiert.
Nach Auffassung des BFH kann bei der Übertragung eines Gesellschaftsanteils "zum 1.1." eines Jahres im Allgemeinen angenommen werden, dass der Anteil erst in diesem Jahr und nicht schon zum 31.12. des Vorjahrs übertragen wurde.
Mehrdeutige Vereinbarungen müssen vermieden werden
Anders verhält es sich wohl i. d. R., wenn der Vertrag die Klausel "mit Wirkung zum 31.12." eines Jahrs enthält. In diesem Fall hat der BFH den Vorgang noch dem alten Jahr zugerechnet. Ebenso hat er in dem Fall entschieden, in dem der Vertrag die Klausel "mit Wirkung ab 31.12." enthielt. Es bleibt festzuhalten, dass unklare oder mehrdeutige Vereinbarungen unbedingt zu vermeiden sind.