Leitsatz
1. § 23 Abs. 1 Satz 3 EStG ist eine Missbrauchsverhinderungsvorschrift i.S. von § 42 Abs. 1 Satz 2 AO; damit ist die Annahme eines Missbrauchs rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten gemäß § 42 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 AO für den Fall der Veräußerung nach unentgeltlicher Übertragung grundsätzlich ausgeschlossen.
2. Hat der Steuerpflichtige die Veräußerung eines Grundstücks angebahnt, liegt ein Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten grundsätzlich nicht vor, wenn er das Grundstück unentgeltlich auf seine Kinder überträgt und diese das Grundstück an den Erwerber veräußern; der Veräußerungsgewinn ist dann bei den Kindern nach deren steuerlichen Verhältnissen zu erfassen.
Normenkette
§ 23 Abs. 1 Satz 3 EStG, § 42 AO
Sachverhalt
Die Klägerin erwarb ein bebautes Grundstück und bahnte dessen Veräußerung innerhalb der Haltefrist von 10 Jahren an. Anstatt das Grundstück selbst zu veräußern, übertrug sie es unentgeltlich auf ihre Kinder, die im selben Notartermin das Grundstück an den Erwerber veräußerten. Das FA hielt die "Zwischenschaltung" der Angehörigen in den von der Klägerin vorbereiteten Verkauf für rechtsmissbräuchlich und rechnete der Klägerin den Veräußerungsgewinn zu. Das FG hat die Klage abgewiesen (FG Nürnberg, Urteil vom 21.3.2019, 6 K 551/17).
§ 23 Abs. 1 Satz 3 EStG sei keine spezielle Missbrauchsverhinderungsvorschrift, die die Anwendung der Generalklausel sperre. Die Klägerin habe ihre Kinder missbräuchlich in die von ihr geplante Veräußerung zwischengeschaltet und dadurch einen nicht vorgesehenen Steuervorteil erzielt. Wirtschaftlich angemessen sei es, der Klägerin den Veräußerungsgewinn persönlich zuzurechnen und ihn bei ihr zu besteuern.
Entscheidung
Auf die Revision der Klägerin hat der BFH das Urteil der Vorinstanz aufgehoben und der Klage stattgegeben. Die Klägerin habe den Tatbestand der Veräußerung nicht erfüllt. Ihr sei die Veräußerung durch die unentgeltlichen Rechtsnachfolger auch nicht zurechenbar. Zum einen sperre § 23 Abs. 1 Satz 3 EStG die Anwendung von § 42 Abs. 1 AO. Zum andern liege ein Rechtsmissbrauch aber auch nicht vor.
Hinweis
Mehr als 10 Jahre liegt die Neuregelung des § 42 AO (durch das JStG 2008) nun zurück. Neu war damals u.a. § 42 Abs. 1 Satz 2 AO. Nach dieser Vorschrift verdrängt eine Norm, "die der Verhinderung von Steuerumgehungen dient"§ 42 Abs. 1 Satz 1 AO, wenn ihr Tatbestand erfüllt ist, denn in diesem Fall richten sich die Rechtsfolgen nach ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung (nur) nach jener Vorschrift (und nicht nach der Generalklausel). Nun liegen die ersten beiden BFH-Entscheidungen zu dieser Norm vor:
1. Der I. Senat hatte kürzlich einen Fall zu entscheiden, in dem der Tatbestand einer speziellen Missbrauchsverhinderungsvorschrift (im Streitfall offen gelassen) nicht erfüllt war. Dann, so der I. Senat, ist § 42 Abs. 1 Satz 1 AO zu prüfen. Allerdings kann sich aus der speziellen Missbrauchsverhinderungsvorschrift wertungsmäßig ergeben, dass die gewählte Gestaltung nicht unangemessen ist (BFH, Urteil vom 17.11.2020, I R 2/18, BFHE 271, 330, BStBl II, 580, BFH/NV 2021, 1043).
2. Im Besprechungsfall war der Tatbestand einer speziellen Missbrauchsverhinderungsvorschrift (§ 23 Abs. 1 Satz 3 EStG) dagegen erfüllt. In diesem Fall ist die Anwendung von § 42 Abs. 1 Satz 1 AO grundsätzlich ausgeschlossen.
a) § 23 Abs. 1 Satz 3 EStG ist eine spezielle Missbrauchsverhinderungsvorschrift. Sie soll vermeiden, dass die Veräußerungsgewinnbesteuerung durch unentgeltliche Übertragung umgangen werden kann (mangels Entgeltlichkeit fehlt es beim Rechtsvorgänger an einer Veräußerung und beim Rechtsnachfolger an einer Anschaffung). Vor Einführung der Vorschrift hatte die Rechtsprechung in derartigen Fällen einen Gestaltungsmissbrauch erwogen.
b) Ist der Tatbestand einer solchen Norm erfüllt, sperrt sie gemäß der gesetzlichen Kollisionsregel in § 42 Abs. 1 Satz 2 AO grundsätzlich die Anwendung der generellen Missbrauchsklausel in § 42 Abs. 1 AO. Damit ist der Fall im Prinzip gelöst; das Urteil geht aber noch weiter:
c) Vorsichtigerweise lässt der Senat offen (Rz. 24), ob es besondere Fallgestaltungen geben könne, in denen die unentgeltliche Übertragung ihrerseits aus allgemeinen Gründen (z.B. Fremdvergleich oder Scheingeschäft) steuerlich nicht anerkannt werden oder auch an § 42 Abs. 1 AO zu messen sein könnte. Anhaltspunkte dafür habe das FG nicht festgestellt. Zwar hätten die Beteiligten durch die unentgeltliche Übertragung auf die noch einkommenslosen Kinder einen Steuersatzvorteil erzielt, der jedoch als Folge der steuerlichen Anerkennung der unentgeltlichen Übertragung vor der Veräußerung vom Rechtsnachfolger und nicht vom Rechtsvorgänger zu versteuern sei. Es ist mit anderen Worten (grundsätzlich) nicht rechtsmissbräuchlich, die Chance auf einen Veräußerungsgewinn zu verschenken; es muss nicht etwa der (versteuerte) Gewinn verschenkt werden (vgl. auch Leitsatz 2).
d) Letzte Rechtssicherheit wird es insofern aber nicht geben können. Das machen die zahlreichen Vorbehalte ("gru...