Leitsatz
Dem EuGH werden folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Muss der Empfänger von Dienstleistungen, der gem. Art. 21 Nr. 1 der Richtlinie 77/388/EWG Steuerschuldner und als solcher in Anspruch genommen worden ist, um das Recht auf Vorsteuerabzug ausüben zu können, gem. Art. 18 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG eine nach Art. 22 Abs. 3 der Richtlinie 77/388/EWG ausgestellte Rechnung besitzen?
2. Falls diese Frage zu bejahen ist: Welche Angaben muss die Rechnung enthalten? Ist es schädlich, wenn statt der Gestellung von Personal die mit Hilfe dieses Personals erstellten Gewerke als Leistungsgegenstand bezeichnet werden?
3. Welche Rechtsfolgen hätten nicht behebbare Zweifel daran, dass der Rechnungsaussteller die berechnete Leistung erbracht hat?
Normenkette
§ 18 Abs. 8 UStG , § 51 UStDV , vgl. § 13b UStG i.d.F. des StÄndG 2001
Sachverhalt
Ein Bauunternehmer setzte englische Bauarbeiter ein, die ihm unter einer englischen Firma zur Verfügung gestellt worden sind, die in Holland eine Kontaktadresse unterhielt. Es gab nach den Feststellungen des FA eine "Sitzgesellschaft" ohne Eintragungen in den lokalen Telefonverzeichnissen, die Rechnungen über entsprechende Bauleistungen unter Hinweis auf das Nullverfahren ohne Umsatzsteuer ausstellte.
Das FA ging davon aus, dass die in Rechnung gestellten Leistungen nicht von der dort genannten Ltd., sondern von einem dritten unbekannten Unternehmen ausgeführt worden seien, und nahm den Kläger nach § 55 der UStDV in Haftung. Das FG gab der Klage statt.
Entscheidung
Der BFH setzte das Verfahren aus und legte dem EuGH die im Leitsatz genannten Fragen zur Vorabentscheidung vor.
Hinweis
Die Vorlagefrage betrifft vor allem Sachverhaltskonstellationen bei Bauleistungen, die – wie die Zahl der FG-Urteile belegt – häufig sind und bei denen stets die Stichworte "Briefkastenfirma", "Scheinunternehmen", "Hintermänner" und "Abdeckrechnungen" auftauchen und Zweifel am Leistungsgegenstand (Bauleistung oder Arbeitnehmerüberlassung) und der Identität des Leistenden thematisiert werden. Die Entscheidung betrifft zwar die Pflicht zur Einbehaltung und Abführung der Umsatzsteuer bei Leistungen eines ausländischen Unternehmers nach dem nunmehr ausgelaufenen Abzugsverfahren nach §§ 51 ff. UStDV. Beachten Sie, dass Vergleichbares gilt für die Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers nach § 13b UStG i.d.F. des StÄndG 2001.
Die bisherige Rechtsprechung verlangte auch im Verfahren nach § 52 Abs. 2 UStDV (sog. Nullregelung) eine vom leistenden Unternehmer ausgestellte Rechnung, welche die Leistung so genau beschreibt (vgl. § 14 Abs. 4 UStG), dass der Leistungsgegenstand nachprüfbar ist, hatte aber der Identifizierbarkeit des Leistenden keine Bedeutung zugemessen, wenn der Leistungsempfänger die Steuer abführen musste (vgl. BFH, Urteil vom 28.5.1998, V R 17/97, BFH/NV 1999, 220); das Nullverfahren ist letztlich eine Art abgekürztes Abzugsverfahren (kein Steuerausweis und kein Vorsteuerabzug).
Die gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen, vor allem Art. 21 Nr. 1 Buchst. a der 6. EG-RL sprechen dafür, dass bei Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers die Anforderungen an die Rechnung nicht geringer sind. Die Entscheidung wird davon abhängen, welchen Stellenwert der Gesichtspunkt der Kontrollfunktion der Rechnung (Sicherstellung auch der ordnungsgemäßen Versteuerung) hat. Andererseits ist zweifelhaft, ob es – mit Rücksicht auf die Neutralität der Mehrwertsteuer – für den Vorsteuerabzug bei Einbehaltung und Abführung der Steuer an den Fiskus durch den Leistungsempfänger überhaupt einer Rechnung i.S.d. Art. 22 Abs. 3 der 6. EG-RL bedarf.
Wenn eine Rechnung erforderlich ist, ist weiter zweifelhaft, ob sie die strengen Anforderungen der Richtlinie erfüllen muss, obwohl der Rechnungsadressat den Steuerbetrag unmittelbar dem Fiskus schuldet? Müssen der Leistungsgegenstand und – entgegen der bisherigen Rechtsprechung – (vgl. BFH/NV 1999, 220) der Leistende zutreffend bezeichnet sein?
Der Vorlagebeschluss ist von Bedeutung in Fällen ungenauer Beschreibung des Leistungsgegenstands aus arbeitsrechtlichen oder anderen nicht umsatzsteuerrechtlichen Vorschriften.
Link zur Entscheidung
BFH, Beschluss vom 22.11.2001, V R 61/00