Leitsatz

Ein selbstständiger EDV-Berater, der Computer-Anwendungssoftware entwickelt, kann einen dem Ingenieur ähnlichen Beruf i.S.d. § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG ausüben (Änderung der Rechtsprechung).

 

Normenkette

§ 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG

 

Sachverhalt

Der Kläger durchlief nach dem Abitur eine zweieinhalbjährige Ausbildung zum mathematisch-technischen Assistenten. Träger der Ausbildung war ein Zusammenschluss von Großunternehmen und dem Max-Planck-Institut. Nach der Abschlussprüfung war er zwei Jahre im Bereich Systembetreuung Datenbanken tätig. Anschließend machte er sich als EDV-Berater selbstständig. Das FA sah seine Tätigkeit nicht als ingenieurähnlich an und erließ einen Gewerbesteuermessbescheid.

Das FG zog einen Sachverständigen hinzu, der in einem Gutachten erläuterte, dass die vom BFH als entscheidend erachtete Differenzierung zwischen der Entwicklung von Systemsoftware einerseits und Anwendersoftware andererseits nicht mehr sachgerecht sei. Außerdem kam der Sachverständige zu dem Ergebnis, dass die theoretischen Kenntnisse des Klägers denjenigen eines Ingenieurs entsprechen und auch seine praktische berufliche Tätigkeit mit der eines Ingenieurs vergleichbar sei. Daraufhin gab das FG der Klage statt.

 

Entscheidung

Der BFH wies die Revision des FA als unbegründet zurück. Die Entscheidung des FG sei revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Die bisherige gegenteilige Rechtsprechung, die lediglich die Systemsoftwareentwicklung – nicht aber die Entwicklung von Anwendersoftware – als ingenieurähnliche Tätigkeit angesehen habe, sei durch die Entwicklung der tatsächlichen Verhältnisse überholt.

 

Hinweis

1. Nach der bisherigen ständigen Rechtsprechung des BFH lag im Arbeitsbereich der EDV-Beratung eine für den Ingenieurberuf typische Tätigkeit nur dann vor, wenn der Steuerpflichtige im Bereich der Systemtechnik bzw. Systemsoftwareentwicklung tätig war (vgl. BFH, Urteile vom 7.12.1989, IV R 115/87, BStBl II 1990, 337; vom 7.11.1991, IV R 17/90, BStBl II 1993, 324). Ein selbstständiger Diplom-Informatiker, der eine Ausbildung an einer Fachhochschule oder einer wissenschaftlichen Hochschule genossen hatte, übte deshalb keine dem Ingenieur ähnliche und damit keine freiberufliche Tätigkeit aus, wenn er überwiegend im Bereich der sog. Anwendersoftware beratend tätig war. EDV-Berater wurde als eigenständiger gewerblicher Beruf angesehen (vgl. BFH, Urteil vom 24.8.1995, IV R 60-61/94, BStBl II 1995, 888).

2. Diese Rechtsprechung – so stellt der BFH im Besprechungsurteil klar – ist durch die Entwicklung der tatsächlichen Verhältnisse überholt. Das typische Berufsbild eines Diplom-Informatikers, das ursprünglich stark theoretisch ausgerichtet war, hat bereits seit Anfang der 90er-Jahre seinen Schwerpunkt von der Systemsoftwareentwicklung auf das Gebiet der Anwendersoftwareentwicklung verlagert. Auch an den Hochschulen ist die Entwicklung von komplexen Anwendersoftwaresystemen mehr und mehr in den Mittelpunkt der Forschungs- und Lehrtätigkeit getreten. Diese Feststellungen beruhen auf den gutachterlichen Äußerungen eines Sachverständigen, den das FG im erstinstanzlichen Verfahren hinzugezogen hatte. Der BFH ist an diese Feststellungen verfahrensrechtlich gebunden, macht sie sich aber zu eigen, weil sie sich mit den Feststellungen einer ganzen Reihe anderer Finanzgerichte decken.

Damit übt ein selbstständiger Diplom-Informatiker, dessen Berufsausbildung mit der eines Ingenieurs vergleichbar ist, etwa seit dem Jahr 1991 eine dem Ingenieur ähnliche freiberufliche Tätigkeit auch dann aus, wenn er vorwiegend Anwendersoftware entwickelt.

Beachten Sie: Der BFH weist am Ende seiner Entscheidung darauf hin, dass damit nicht jede Tätigkeit im Bereich von Anwendersoftware als eine freiberufliche angesehen werden kann. Voraussetzung ist vielmehr, dass qualifizierte Software durch eine klassische ingenieurmäßige Vorgehensweise (Planung, Konstruktion und Überwachung) entwickelt wird. Im Besprechungsurteil war das so. Bei sog. Trivialsoftware (vgl. dazu FG Rheinland-Pfalz in EFG 2002, 1046) ist das hingegen nicht der Fall.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 4.5.2004, XI R 9/03

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