Unmöglichkeit oder übermäßige Erschwerung: Zunächst will das FG Münster vom EuGH wissen, ob es in dem Fall, dass sich die Leistenden auf die Einrede der Verjährung berufen, für den Kläger "unmöglich oder übermäßig erschwert" ist, seine zivilrechtlichen Ansprüche auf Rückzahlung der Steuerbeträge durchzusetzen. Es führt aus, bisher habe der Gerichtshof immer über Fälle entschieden, in denen eine Zahlungsunfähigkeit (z.B. Insolvenz oder wirtschaftliche Unfähigkeit) des Rechnungsausstellers vorgelegen habe, wobei sich das insbesondere im Reemtsma-Fall selbst nicht aus dem vom Gerichtshof dargestellten Sachverhalt ergibt. Dies habe er aber stets nur als Beispiel für eine Unmöglichkeit bzw. eine übermäßige Erschwerung genannt. Im vorliegenden Fall seien die Vorlieferanten jedoch nicht zahlungsunfähig, sondern beriefen sich auf die zivilrechtliche Einrede der Verjährung.
Bei Verjährung = Unmöglichkeit: Dieser Teil der Frage ist u.E. relativ einfach zu beantworten. Der Leistungsempfänger hat zwar einen Anspruch gegen den Leistenden, kann ihn aber, wenn dieser die Einrede der Verjährung geltend macht, nicht durchsetzen. Kurz gesagt, er bekommt sein Geld nicht zurück. Damit ist die Durchsetzung der zivilrechtlichen Ansprüche – zumindest im Augenblick – unmöglich.
"Vorkehrungen zur Sicherung der Ansprüche": Warum das FG Münster ausführt, der LE hätte Vorkehrungen zur Sicherung seiner zivilrechtlichen Ansprüche gegen die Lieferanten treffen müssen, z.B. durch rechtzeitige Einholung des Verzichts auf die Einrede der Verjährung, und was damit genau gemeint ist, erschließt sich nicht. Warum hätten die Lieferanten auf die Einrede verzichten sollen? Sie wollten ja vielmehr, wie man sieht, die Einrede erheben. Was hätte LE tun müssen, wenn die Lieferanten auf die Einrede der Verjährung nicht verzichtet hätten? Sofort Klage erheben? Vor allem: Wann hätte LE die Lieferanten zum Verzicht auffordern sollen? Was heißt in diesem Zusammenhang "rechtzeitig"? Soll das bedeuten, dass der Steuerpflichtige tätig werden muss, bevor die Verjährung eingetreten ist? Das hieße beispielsweise im vorliegenden Fall für die Ansprüche aus 2011 gem. § 199 BGB bis Ende 2014. Zu diesem Zeitpunkt aber hatte noch nicht einmal die Betriebsprüfung bei LE begonnen, die erste Zweifel am Steuersatz äußerte. Sollen also Steuerpflichtige bezüglich aller Zahlungen, die sie an ihre Lieferanten leisten, stets innerhalb der Verjährungsfrist vorsorglich Rückforderungsansprüche geltend machen, um eventuelle Reemtsma-Ansprüche zu sichern? Ein kurioser Gedankengang.
"Mitverschulden": In erster Linie ist aber überhaupt nicht erkennbar, dass der EuGH den Reemtsma-Anspruch davon abhängig machen will, dass der Steuerpflichtige die Zahlungspflicht zutreffend zivilrechtlich beurteilt und sein Geld "rechtzeitig" zurückfordert. Im Gegenteil – es geht gerade um Konstellationen, in denen den Zahlungen unrichtige Beurteilungen zugrunde liegen und der Leistungsempfänger dann sein Geld nicht mehr zurückbekommen kann. Ein Verschulden (sofern nicht Missbrauch oder Betrug vorliegen) ist ebenso wie bei Korrekturen nach § 14c UStG unbeachtlich.