Leitsatz
1. Die einvernehmliche Änderung der Berechtigtenbestimmung i.S.d. § 64 Abs. 2 Satz 2 EStG kann mit Wirkung für die Vergangenheit nur dann vorgenommen werden, wenn noch keine Kindergeldfestsetzung für das betreffende Kind erfolgt ist.
2. Der durch eine einvernehmlich geänderte Berechtigtenbestimmung herbeigeführte Wechsel in der Anspruchsberechtigung wird erst mit Wirkung ab dem Folgemonat zugunsten des neuen Berechtigten berücksichtigt.
Normenkette
§ 64 Abs. 2 Satz 2 EStG
Sachverhalt
Die Klägerin lebt mit ihrem Ehemann und den beiden Kindern in einem gemeinsamen Haushalt. Der Ehemann war als Vater zum Kindergeldberechtigten bestimmt worden. Am 23.12.2005 beantragten die Eltern, die Zahlung des Kindergeldes rückwirkend zum 1.12.2005 auf die Klägerin umzustellen. Ursächlich für den Antrag waren Vorteile bei der künftigen Berechnung ihres Arbeitsentgeltes. Am 30.12.2005 erhielt der Ehemann sein Dezember-Gehalt einschließlich Kindergeld. Mit Bescheid vom 30.1.2006 setzte die Familienkasse gegenüber der Klägerin Kindergeld ab dem 1.1.2006 fest.
Der Einspruch, mit dem die Klägerin eine Kindergeldfestsetzung bereits ab Dezember 2005 zu erreichen suchte, blieb erfolglos. Das FG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 1.6.2010, 4 K 4132/06 B, Haufe-Index 2370237, EFG 2010 1623) gab der Klage statt.
Entscheidung
Die Revision der Familienkasse führte zur Aufhebung des FG-Urteils und zur Abweisung der Klage, da das FG zu Unrecht von einer auf den Monatsanfang zurückwirkenden Änderung der Berechtigtenbestimmung ausgegangen ist.
Hinweis
1. Kindergeld wird für jedes Kind nur einem Berechtigten gezahlt. Ist das Kind in den gemeinsamen Haushalt von Eltern, einem Elternteil und dessen Ehegatten, Pflegeeltern oder Großeltern aufgenommen worden, so bestimmen diese untereinander den Berechtigten.
2. Die einmal getroffene Berechtigtenbestimmung gilt so lange, bis sich das Obhutsverhältnis ändert oder sie von beiden Eltern einvernehmlich geändert oder von einem Elternteil einseitig widerrufen wird. Einvernehmliche Änderung und Widerruf sind grundsätzlich nur für die Zukunft möglich. Eine rückwirkende Regelung der Berechtigung kommt nur dann in Betracht, wenn sie bislang ungeregelt war. Gegen die ex-tunc-Wirkung einer Änderung sprechen der Wortlaut des § 64 Abs. 2 Satz 2 EStG (vgl. demgegenüber z.B. § 142 Abs. 1 und § 184 Abs. 1 BGB, § 130 und § 131 AO sowie § 70 Abs. 2 und 3 EStG) sowie Sinn und Zweck des § 64 EStG, der allein eine Anspruchskonkurrenz beseitigen soll.
3. In der Rechtsprechung und Literatur ist z.T. die Rückwirkung einer neuen Berechtigtenbestimmung für möglich erachtet worden, bis zur zeitlichen Grenze der Erfüllung des Kindergeldanspruchs. Dem widerspricht der BFH: Eine etwaige steuerliche Rückwirkung hängt nur vom materiellen Recht ab und nicht davon, ob ein Steueranspruch erfüllt wurde und damit erloschen ist. Wenn § 64 Abs. 2 Satz 2 EStG einer geänderten oder widerrufenen Berechtigtenbestimmung für einen bereits geregelten Zeitraum materiell-rechtliche Rückwirkung zuerkennen würde, dann wäre der Rückwirkungszeitraum allein durch die Festsetzungsverjährung begrenzt. Mangels Einschränkungen des materiellen Rechts wären dann auch wiederholte rückwirkende Berechtigtenwechsel möglich und es bestünde die Gefahr einer faktischen Doppelzahlung des Kindergeldes, wenn der Rückforderungsanspruch gegen den bislang Berechtigten sich als uneinbringlich erweist. Dagegen werden die Eltern durch die Versagung der Rückwirkung nicht unrechtmäßig benachteiligt, weil die bisherige Auszahlung des Kindergeldes ihrem Willen entsprach.
4. Ändern die Eltern die Berechtigtenbestimmung im Laufe eines Monats, dann erfüllen nunmehr beide die Anspruchsvoraussetzungen an wenigstens einem Tag des Monats. Damit tritt eine vom Gesetz nicht erfasste Konkurrenzsituation ein, die nach den Regeln aufzulösen ist, die der BFH für einen im Laufe des Monats stattfindenden Haushaltswechsel des Kindes entwickelt hat. Danach wird der Wechsel in der Anspruchsberechtigung erst mit Wirkung ab dem Folgemonat zugunsten des neuen Berechtigten berücksichtigt.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 19.4.2012 – III R 42/10