Entscheidungsstichwort (Thema)
Schätzung der ortsüblichen Marktpacht bei verbilligter Verpachtung einer Gaststätte an einen Angehörigen. - Revision eingelegt (Aktenzeichen des BFH: IX R 11/22)
Leitsatz (redaktionell)
1. Ist streitig, ob eine Gaststätte einem Angehörigen vollentgeltlich verpachtet oder teilweise unentgeltlich überlassen worden ist, und kann die sogenannte Vergleichswertmethode nicht angewandt werden, weil sich aufgrund der Besonderheiten des in Rede stehenden Objekts vergleichbare Objekte nicht finden lassen, so ist die ortsübliche Marktpacht des Grundstücks gemäß § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO, § 162 Abs. 1 AO unter Einbeziehung der sachkundigen Bewertung eines erfahrenen, unvoreingenommenen und mit der konkreten (örtlichen) Marktsituation vertrauten Sachverständigen, z. B. eines erfahrenen Maklers, zu schätzen. Zu schätzen ist der Wert, für den aufgrund der Gesamtumstände ein Höchstmaß an Wahrscheinlichkeit besteht.
2. Es ist nicht zu beanstanden, wenn Sachverständige bei ihren Einschätzungen zur ortsüblichen Marktpacht aufgrund ihrer langjährigen Erfahrungen als örtliche Makler einerseits objekt-, standort- und kaufkraftbezogen von Umsatzprognosen und andererseits von einem auf diese Umsätze bezogenen ortsüblichen Pachtkostenanteil ausgehen.
3. Das Gericht erachtet es als angemessen, bei Beginn des Pachtverhältnisses im Jahr 2008 (Finanzkrise) einen Preisnachlass von 20 % und für das Folgejahr einen Preisnachlass von 10 % der nachhaltig erzielbaren ortsüblichen monatlichen Marktpacht anzunehmen.
4. Bei der Ermittlung einer ortsüblichen Marktpacht verbietet es sich, von einer Abzinsung der Investitionskosten und damit von einer sogenannten Investivpacht auszugehen.
Normenkette
EStG § 21 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Abs. 2, § 9 Abs. 1 S. 1, § 12 Nr. 1; AO § 162 Abs. 1; FGO § 96 Abs. 1 Sätze 1-2
Tenor
Die geänderten Bescheide über Einkommensteuer 2008 bis 2010 jeweils vom 01.11.2013 in Gestalt der zusammengefassten Einspruchsentscheidung vom 07.10.2014 werden dahingehend geändert, dass bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung des Gaststättengrundstücks „X” 2008 weitere Werbungskosten i.H.v. 21.483 Euro, 2009 weitere Werbungskosten i.H.v. 4.186 Euro und 2010 weitere Werbungskosten i.H.v. 923 Euro berücksichtigt werden. Im Übrigen wird die Klage wegen Einkommensteuer 2008 bis 2010 abgewiesen.
Die Kosten des (zunächst unter dem Aktenzeichen 8 K 1569/14 geführten und dort wegen Einkommensteuer 2007 und Umsatzsteuer 2008 bis 2010 bereits mit Urteil vom 13.10.2016 abgeschlossenen) Verfahrens (einschließlich der Kosten des Revisionsverfahrens IX R 30/17) tragen die Beteiligten jeweils zur Hälfte.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 v.H. des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Streitig ist, ob die Klägerin die Gaststätte X ihrem Ehemann teilweise unentgeltlich überließ.
Mit Zuschlagsbeschluss des Amtsgerichts A vom 18.07.2006 erwarb die B GmbH A das Gaststättengrundstück … in A. Mit notariellem Kaufvertrag vom 25.07.2006 wurde es an die Klägerin zu einem Kaufpreis von 140.000 Euro veräußert. Das Grundstück hat eine Fläche von 8.440 qm und liegt am westlichen Stadtrand von A, ca. 4 km vom Stadtzentrum entfernt. Die Nutzfläche der Gaststätte „X” beträgt insgesamt 308,55 qm, wovon 187,90 qm auf das Gebäude und 120,65 qm auf die Terrasse entfallen.
Das Gaststättengrundstück war aufgrund Pachtvertrags vom 02.09.2003 ab dem 01.10.2003, ordentlich kündbar frühestens zum 31.12.2008, zu einer monatlichen Nettopacht in Höhe von 750 Euro verpachtet. Das Pachtverhältnis sollte sich jeweils um fünf Jahre verlängern, wenn es nicht von einer Vertragspartei sechs Monate vor Ablauf gekündigt wird. Die Pächter hatten das Recht, maximal zweimal bis drei Monate vor dem Pachtende die Fortsetzung des Pachtverhältnisses um weitere fünf Jahre zu verlangen. In diesem Fall sollte die monatliche Nettopacht im Falle der Ausübung der ersten Fünf-Jahres-Option auf 1.250 Euro und im Falle der Ausübung der zweiten Fünf-Jahres-Option auf 1.750 Euro steigen. Der Verpächter sollte die Grundsteuer und die Pächter alle übrigen Neben- und Betriebskosten tragen. Schönheitsreparaturen und kleiner Instandhaltungsarbeiten waren von den Pächtern durchzuführen. Dieses Pachtverhältnis wurde von der B GmbH am 27.07.2006 gemäß § 57a ZVG zum 31.03.2007 gekündigt.
Die Klägerin investierte in die Gebäudesanierung in den Streitjahren 2007 2.080 Euro, 2008 214.893,63 Euro, 2009 38.749,25 Euro und 2010 12.487,51 Euro. Dabei wurde neben den Sanierungsarbeiten ein Toilettenhaus errichtet. In die Außenanlagen, u.a. ein Beachvolleyballfeld und eine Minigolfanlage, investierte sie 2008 35.114,91 Euro, 2009 23.377,58 Euro und 2010 3.980,96 Euro. Die Minigolfanlage wurde im Mai/Juni 2008, das Beach-Volleyball-Feld bis April 2009 fertiggestellt. 2008 lies die Klägerin einen Kleingüteraufzug f...