rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Einsichtnahme des Insolvenzverwalters in die Vollstreckungsakten des Schuldners. Offenbarung von Pfändungs- und Einziehungsverfügungen bei Zahlungen von Drittschuldnern
Leitsatz (redaktionell)
1. Über ein Gesuch auf Einsicht in ihre Akten hat die Finanzbehörde nach Ermessen zu entscheiden. Der Anspruch des Antragstellers auf fehlerfreie Ausübung des Ermessens ist dann gewahrt, wenn das Finanzamt im Rahmen einer Interessenabwägung die Belange der um Akteneinsicht ersuchenden Person und der Behörde gegeneinander abgewogen hat.
2. Bei Verdacht einer anfechtbaren Rechtshandlung besteht für den Insolvenzverwalter kein Anspruch auf Auskunft gegen den mutmaßlich Begünstigten. Ein Auskunftsanspruch ist aber dann gegeben, wenn das Anfechtungsrecht des Insolvenzverwalters dem Grunde nach feststeht. Das Recht auf Auskunft ist Teil des entstandenen Rückgewährschuldverhältnisses. Es zielt auf die nähere Bestimmung des Anspruchs auf Rückgewähr.
3. Es besteht ein Auskunftsanspruch des Schuldners und damit des Insolvenzverwalters hinsichtlich der Zahlungen von Drittschuldnern nach Pfändung und Überweisung. Das Finanzamt darf die Bekanntgabe sowohl der Pfändungsverfügung als auch der Einziehungsverfügung nicht von der Benennung einer konkreten Pfändung abhängig machen, sondern es ist zur Auskunftserteilung ohne Vorbedingung verpflichtet.
4. Ein berechtigtes Interesse an der Akteneinsicht kann auch dann vorliegen, wenn die Bekanntgabe- und Informationspflichten seitens des Finanzamts beachtet wurden, die ausgegebene Information jedoch beim Schuldner oder Insolvenzverwalter verloren gegangen ist.
Normenkette
AO §§ 5, 30, 309, 314; InsO § 155
Nachgehend
Tenor
1. Der Beklagte wird verurteilt, über den Antrag auf Akteneinsicht unter Zugrundelegung der Rechtsauffassung des Gerichts und nach Aufhebung des Bescheides v. 12.3.2009 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 15.5.2009 neu zu entscheiden.
2. Die Kosten des Rechtstreits werden gegeneinander aufgehoben.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über das Recht auf Akteneinsicht.
Der Kläger wurde am 2.12.2008 zum Insolvenzverwalter über das Vermögen des L. bestellt, nachdem der Beklagte am 26.6.2008 unter Hinweis darauf, dass die Pfändung von Konten bei verschiedenen Banken erfolglos geblieben war, Insolvenzantrag gestellt hatte. Der Insolvenzschuldner machte gegenüber dem Kläger nur unspezifizierte Angaben über Zwangsvollstreckungsmaßnahmen des Beklagten. Der Kläger beantragte deshalb mit Schreiben v. 8.12.2008 Einsicht in die Steuerakten des Insolvenzschuldners. Der Beklagte lehnte den Antrag am 15.12.2008 ab. Dem Einspruch v. 12.1.2009 wurde nur insoweit abgeholfen, als Einsicht in die Veranlagungsakten gewährt wurde.
Mit Schreiben v. 4.3.2009 beantragte der Kläger Einsicht in die Vollstreckungsakten. Der Beklagte lehnte mit Schreiben v. 12.3.2009 ab. In der Abgabenordnung sei keine regelnde Vorschrift für die Akteneinsicht enthalten. Es sei das Steuergeheimnis zu wahren. Es bestehe keine Pflicht zur Auskunftserteilung. Ein als Einspruch gedeutetes Schreiben v. 6.4.2009 wurde mit Einspruchsentscheidung v. 15.5.2009 zurückgewiesen. Zur Begründung dieser Einspruchsentscheidung führte der Beklagte zunächst in allgemeiner Hinsicht aus: Die Gewährung von Akteneinsicht soll im laufenden Verwaltungsverfahren die Ausnahme sein. Einem allgemeinen Akteneinsichtsrecht in Steuerverwaltungsverfahren stünden der Schutz Dritter, das Ermittlungsinteresse der Finanzbehörden und der Verwaltungsaufwand der Finanzbehörde, die vor jeder Akteneinsicht zu prüfen hätte, ob ein Geheimhaltungsinteresse Dritter beeinträchtigt sein könnte, und dann ggf. das gesamte Kontrollmaterial, behördeninterne Vermerke, Anweisungen und Ähnliches aus den Akten zu entfernen hätte, entgegen. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze sei der Ermessensspielraum eng zu ziehen. In Ausübung des pflichtgemäßen Ermessens könne Akteneinsicht gewährt werden, wenn der Beteiligte ein berechtigtes Interesse hieran hat, und dieses gegenüber dem Interesse der Finanzbehörde an einem ordnungsgemäßen Geschäftsgang überwiegt. Ein die Akteneinsicht rechtfertigendes Interesse liege nur vor, wenn diese für den Beteiligten zur Wahrnehmung bzw. Erfüllung seiner steuerlichen Rechte und Pflichten unabdingbar ist.
Diese Voraussetzung wird für den vorliegenden Fall verneint. Die Einsicht in die Vollstreckungsakte solle der Prüfung von Voraussetzungen der Insolvenzanfechtung dienen, nicht aber den steuerlichen Belangen des Schuldners bzw. des Klägers. Hierzu führt die Einspruchsentscheidung weiter aus: Kann die Einsicht dazu dienen, zivilrechtliche Ansprüche gegen den Bund oder ein Land durchzusetzen und sind Bund und Land nicht zur Auskunftserteilung verpflichtet – wie es bei der Insolvenzanfechtung der Fall ist –, ist ein berechtigtes Interesse zu verneinen. Die Einsicht in die Akten ist dann nach zivilrechtlichen Beweisregeln als unzulässige Ausforsc...