Entscheidungsstichwort (Thema)
Bestimmtheit eines Haftungsbescheids bei fehlender Angabe des Vergütungsgläubigers. Abstandnahme vom Steuerabzug durch den Vergütungsschuldner nur bei vorliegender Freistellungsbescheinigung. Pflicht zum Steuerabzug auch bei abkommensrechtlich fehlendem Besteuerungsrecht. Verfassungs- und Gemeinschaftsrechtsmäßigkeit des Steuerabzugsverfahrens bei beschränkter Steuerpflicht. Anlaufhemmung wegen Pflicht zur Abgabe einer Steueranmeldung durch Vergütungsschuldner
Leitsatz (redaktionell)
1. Ein Haftungsbescheid nach § 50a Abs. 5 S. 5 EStG ist auch dann inhaltlich hinreichend bestimmt, wenn er den Vergütungsgläubiger nicht benennt, aber ausdrücklichen auf den Betriebsprüfungsbericht Bezug nimmt, der eindeutig erkennen lässt, um welchen Sachverhalt es sich handelt, der zur Haftung führt.
2. Der Vergütungsschuldner kann sich für die Abstandnahme vom Steuerabzug nach § 50a Abs. 5 EStG nur dann gem. § 50d Abs. 2 S. 5 EStG auf eine Freistellungsbescheinigung berufen, wenn diese vorliegt. Das bloße Bestehen der Voraussetzungen für die Erteilung einer Freistellungsbescheinigung reicht hingegen nicht aus.
3. Die Verpflichtung des Vergütungsschuldners zur Vornahme des Steuerabzugs besteht auch dann, wenn das Besteuerungsrecht für die entsprechenden Vergütungen nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung nicht dem Inland obliegt (vgl. BFH-Urteil v. 27.7.2011 I R 32/10).
4. Gegen die Abzugsverpflichtung eines Vergütungsschuldners nach § 50a Abs. 4 EStG 2002 bestehen auch bei einer zwischenstaatlich vereinbarten Amtshilfe bei der Beitreibung von Steuerforderungen dem Grunde nach keine verfassungs- und gemeinschaftsrechtlichen Bedenken. Zur Herstellung der Gemeinschaftsrechtskonformität ist lediglich notwendig, dass die im unmittelbaren Zusammenhang mit der steuerpflichtigen Tätigkeit stehenden und vom Vergütungsgläubiger mitgeteilten Betriebsausgaben berücksichtigt werden.
5. Zur Begründung des Auswahlermessens wegen der Inanspruchnahme des Vergütungsschuldners statt des beschränkt steuerpflichtigen Vergütungsgläubigers nach § 50a Abs. 5 EStG genügt auch nach Inkrafttreten der Beitreibungsrichtlinie der Hinweis auf die beschränkte Steuerpflicht des Vergütungsgläubigers.
6. Nach dem der Vergütungsschuldner gem. § 73e Satz 2 EStDV zur Abgabe der Steueranmeldung verpflichtet ist, richtet sich der Beginn der Festsetzungsfrist nach § 170 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AO.
Normenkette
EStG 2002 § 50a Abs. 4 S. 1 Nr. 3, Abs. 5 S. 5, § 50d Abs. 2, § 49 Abs. 1 Nr. 3; EStDV § 73e S. 2; EStG § 2009 § 50a Abs. 1 Nr. 3; AO § 170 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, § 191 Abs. 5 S. 1 Nr. 1, Abs. 3 S. 4; DBA Belgien Art. 12 Abs. 1; Richtlinie 2010/24/EU
Nachgehend
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin auferlegt.
Tatbestand
Die Klägerin ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, deren Gegenstand die Produktion und der Vertrieb von Werbemitteln, Spielwaren sowie Lern- und Lehrmitteln ist. Sie schloss mit den Eheleuten M, deren Wohnsitz in Belgien liegt, einen mündlichen Lizenzvertrag, wonach die Eheleute Spielideen entwickeln und ihre Urheberrechte gegen Zahlung eines umsatzabhängigen Entgelts an die Klägerin zur Herstellung, zum Gebrauch und zum Vertrieb der daraus entwickelten Spiele übertrugen. Die Abrechnung erfolgte durch die Erteilung von Gutschriften und die zeitgleiche Auszahlung der Lizenzgebühren. Bei der Abrechnung wandte die Klägerin die Umsatzsteuernullregelung bzw. den § 13b des Umsatzsteuergesetzes (UStG) an; einen Steuerabzug nach § 50a des Einkommensteuergesetzes (EStG) nahm sie nicht vor. Ein Freistellungsbescheid des Bundesamtes für Finanzen zur Abstandnahme vom Steuerabzug nach § 50a EStG existiert nicht.
Im Rahmen einer Betriebsprüfung vertrat der eingeschaltete Fachprüfer für Auslandsbeziehungen die Auffassung, dass die Eheleute mit ihren Einkünften in Deutschland beschränkt einkommensteuerpflichtig seien. Mit den Entgelten für die Nutzungsüberlassung an den selbst entwickelten Spielideen erzielten sie inländische Einkünfte nach § 49 Abs. 1 Nr. 3 des EStG. Die Klägerin sei daher im Zeitpunkt der Zahlung der Lizenzgebühren nach § 50a Abs. 4 Nr. 4 des EStG verpflichtet gewesen, Abzugssteuern einzubehalten, diese anzumelden und abzuführen. Der Beklagte (das Finanzamt) folgte der Auffassung der Betriebsprüfung und nahm die Klägerin mit Bescheid vom 20. Dezember 2006 für den unterlassenen Steuerabzug nach § 50a Abs. 4 Nr. 3 EStG für die Jahre 1999 bis 2005 insgesamt in Höhe von 4.755,55 EUR in Haftung. In dem Haftungsbescheid sind die Vergütungsgläubiger nicht ausdrücklich benannt. Wegen der geprüften Sachverhalte und der Berechnungsgrundlagen verweist der Bescheid auf den der Klägerin übersandten Prüfungsbericht vom 11. August 2006. Die Haftungsbeträge entsprechen den im Bericht des Prüfers enthaltenen Zahlen. Das gegen den Haftungsbescheid durchgeführte Einspruchsverfahren blieb ohne Erfolg (Einspruchsentscheidun...