Entscheidungsstichwort (Thema)
Rückwirkenden Anwendung der Vorschriften zum Nachweis von Krankeitskosten sowie der Regelung zur „zumutbaren Belastung” verfassungskonform. Begriff der steuerlich erforderlichen „ärztlichen Verordnung”. Aufwendungen für nicht von Arzt praktiziertes „Fernreiki” keine außergewöhnliche Belastungen. gerichtliche Schätzung der Nutzungsanteile eines häuslichen Arbeitszimmers. keine Kürzung des für den Abzug von Beerdigungskosten als außergewöhnliche Belastung maßgeblichen Werts des Nachlasses um ehebedingte Zuwendungen
Leitsatz (redaktionell)
1. Dass nach § 84 Abs. 3f EStDV i. d. F. des StVereinfG 2011 § 64 Abs. 1 EStDV (Nachweis von Krankheitskosten) in allen Fällen, in denen die Einkommensteuer noch nicht bestandskräftig festgesetzt ist, und damit auch rückwirkend anzuwenden ist, ist unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht zu beanstanden.
2. Eine ärztliche Verordnung (Verschreibung) ist nur eine formelle, schriftliche Aufforderung u. a. eines Arztes an die Apotheke zu einer Belieferung mit Arzneimitteln oder Hilfsmitteln, die die in § 2 der Verordnung zur Neuordnung der Verschreibungspflicht von Arzneimitteln festgelegten Angaben enthalten muss.
3. „Fernreiki” als eine Form des Reiki (Arbeit mit universeller Lebensenergie, Handauflegen) ist eine „wissenschaftlich nicht anerkannte Behandlungsmethode” i. S. d. § 64 Abs. 1 Nr. 2 f EStDV; die Aufwendungen hierfür sind nicht als außergewöhnliche Belastungen abziehbar, wenn Reiki von einer nicht zur Heilkunde zugelassenen Person praktiziert wird.
4. Die Regelung über die Anrechnung einer nach dem Gesamtbetrag der Einkünfte, dem Familienstand und der Kinderzahl gestaffelten zumutbaren Belastung gemäß § 33 Abs. 1, Abs. 3 EStG ist verfassungskonform, wenn dem Steuerpflichtigen ein verfügbares Einkommen verbleibt, das über dem Regelsatz für das Existenzminimum liegt. Das gilt auch bezüglich Krankheitskosten tödlich erkrankter Steuerpflichtiger.
5. Ist es dem Gericht nicht möglich, die tatsächliche Nutzung des im Streitjahr zur Einkunftserzielung nach § 18 und 19 EStG genutzten Arbeitszimmers festzustellen, kann es angemessen sein, den Anteil der Nutzung des Arbeitszimmers zur Erzielung von Einnahmen aus selbstständiger Arbeit und den Anteil der Nutzung zur Erzielung von Einnahmen aus nichtselbstständiger Tätigkeit auf je 1/2 zu schätzen.
6. Ausgaben für die Beerdigung eines nahen Angehörigen sind in der Regel als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen, soweit sie nicht aus dem Nachlass bestritten werden können. Wird der Erblasser vom Ehegatten beerbt, kann der Wert des Nachlasses nicht um vermeintliche Forderungen des Erben gegen den Erblassers gekürzt werden, wenn der Erbe durch Zahlungen an den Ehegatten bewusst und gezielt das Privatvermögen des nunmehr verstorbenen Ehegatten gefördert hat und es sich somit um ehebedingte Zuwendungen gehandelt hat.
Normenkette
EStG § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 6b Sätze 1-2, § 33 Abs. 1, 3; EStDV § 64 Abs. 1 Nrn. 1, 2 Buchst. e, f, § 84 Abs. 3f; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3; AO § 162; FGO § 96 Abs. 1
Nachgehend
Tenor
1. Unter Änderung der Einkommensteuerbescheide 2009 vom 29.06.2011 wird die Einkommensteuer für 2009 auf den Betrag herabgesetzt, der sich ergibt, wenn bei den Einkünften aus selbstständiger Arbeit weitere Betriebsausgaben von € berücksichtigt werden. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens werden den Klägern auferlegt.
Tatbestand
Der Kläger zu 1 wurde im Streitjahr 2009 zusammen mit seiner 2009 verstorbenen Ehefrau (E) veranlagt. Erben der E sind der Kläger zu 1 und seine beiden 1999 und 2001 geborenen Kinder, die Kläger zu 2 und 3.
E begab sich im November 2007 in einem fortgeschrittenen Stadium ihrer Erkrankung in die „Klinik … „ in X. Die Krankenkasse vereinbarte mit E, dass sie 50 % der Kosten der stationären Behandlung übernimmt. Eine volle Kostenübernahme lehnte die Krankenkasse ab, weil „die Leistungen (…) ein Mindestmaß an medizinischer Nachvollziehbarkeit aufweisen” müssen (vergleiche Schreiben des … vom 01.02.2011. E hatte am 06.12.2007 eine Vereinbarung mit T über die Durchführung einer Reikibehandlung geschlossen. In der Vereinbarung heißt es:
„Mit der Methode des Reiki werden die Selbstheilungskräfte des Menschen durch Handauflegen aktiviert. Ich übe diese Praktik als eine Form meiner Begleitung, von Menschen in gesundheitlichen Krisen durch Berührung, aus.”
Frau T war im Streitjahr 2009 nicht zur Ausübung der Heilkunde zugelassen. Sie beschrieb ihre Tätigkeit auszugsweise wie folgt:
„Fernreiki ist eine Form des Reiki (Arbeit mit universeller Lebensenergie, Handauflegen), welches mit Quantenphysik erklärbar ist, die besagt alle Materie besteht aus Schwingungen. Nach einer Ausbildung zur Anwendung des Fernreiki (mit dem 2. Grad der Reikiausbildung) kann ich über Gedanken und somit große Entfern...