Dipl.-Finanzwirt Karl-Heinz Günther
Leitsatz
Grobes Verschulden bei bestandskräftigen Schätzungsbescheiden
Sachverhalt
Im entschiedenen Fall war strittig, ob einem Steuerpflichtigen nach Versäumen der Einspruchsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden kann. Darüber hinaus hatte das FG zu entscheiden, ob eine Änderung der Bescheide aufgrund neuer Tatsachen (§ 173 AO) möglich ist, obwohl sich die Geltendmachung weiterer Beweismittel innerhalb der Einspruchs- bzw. Wiedereinsetzungsfrist aufgedrängt hätte.
Entscheidung
Versäumt der Steuerpflichtige die Einspruchsfrist gegen einen Steuerbescheid und kommt Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 110 AO) nicht in Betracht, kann eine Bescheidänderung ggf. noch vorgenommen werden, wenn die Voraussetzungen einer verfahrensrechtlichen Änderungsnorm vorliegen. Macht der Steuerpflichtige erstmals gegenüber dem Finanzamt bislang nicht bekannte neue Tatsachen zu seinen Gunsten geltend, muss er jedoch beachten, dass eine Bescheidänderung nur dann in Betracht kommt, wenn ihm am nachträglichen Bekanntwerden kein grobes Verschulden, d.h. kein Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit trifft. Grobe Fahrlässigkeit ist anzunehmen, wenn der Steuerpflichtige die ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten und Verhältnissen zumutbare Sorgfalt in ungewöhnlichem Maße und in nicht entschuldbarer Weise verletzt. Dies ist z.B. der Fall, wenn ein Steuerpflichtiger seiner Erklärungspflicht unzureichend nachkommt, in dem er z.B. unzutreffende oder unvollständige Erklärungen abgibt. Das FG Hamburg hat hierzu weitergehend entschieden, dass grobes Verschulden bei einem steuerlich vertretenen Steuerpflichtigen auch darin liegen kann, dass er bzw. sein Bevollmächtigter es unterlässt, gegen einen Schätzungsbescheid Einspruch einzulegen, obwohl sich ihm innerhalb der Einspruchsfrist (bzw. ggf. innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist) die Geltendmachung weiterer Tatsachen oder Beweismittel hätte aufdrängen müssen. Dabei muss sich der Steuerpflichtige das Verschulden seines steuerlichen Beraters zurechnen lassen.
Hinweis
Die Finanzämter sind zwar grundsätzlich gehalten, Schätzungsbescheide unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 AO) zu erlassen, jedoch hat der Steuerpflichtige hierauf keinen Rechtsanspruch. Wer also einen endgültigen Schätzungsbescheid erhält, sollte in jedem Fall durch rechtszeitige Einspruchseinlegung den Eintritt der formellen Bestandskraft verhindern, da ansonsten eine Änderung zu seinen Gunsten in der Regel nicht mehr möglich sein wird.
Link zur Entscheidung
FG Hamburg, Urteil vom 18.11.2002, II 358/01