0 Rechtsentwicklung
Rz. 1
Mit Inkrafttreten des Art. 1 des Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz – BTHG) v. 23.12.2016 (BGBl. I S. 3234) zum 1.1.2018 wird der bisherige § 140 zu § 223. Die Vorschrift entspricht dem bisherigen § 140.
1 Allgemeines
Rz. 1a
Die Vorschrift regelt die Anrechnung von Aufträgen an Werkstätten für behinderte Menschen auf die Ausgleichsabgabe.
2 Rechtspraxis
Rz. 2
Die Anrechnung von Aufträgen an anerkannte Werkstätten für behinderte Menschen gehört neben der Verpflichtung der Arbeitgeber der öffentlichen Hand zur bevorzugten Vergabe von Aufträgen (§ 224) zu den Vergünstigungen, die anerkannte Werkstätten für behinderte Menschen in Anspruch nehmen können.
Rz. 3
Diese Anrechnung ist im Zusammenhang von Beschäftigungspflicht und Ausgleichsabgabe nach dem Schwerbehindertenrecht zu sehen. Arbeitgeber, die zur Beschäftigung schwerbehinderter Menschen in ihren Betrieben und Dienststellen verpflichtet sind und dieser Verpflichtung nicht oder nicht in dem gesetzlich vorgeschriebenen Umfang nachkommen, haben Ausgleichsabgabe zu zahlen. Diese Arbeitgeber können ihre Ausgleichsabgabe ganz oder teilweise dadurch verringern, dass sie durch die Vergabe von Aufträgen an Werkstätten zur Beschäftigung schwerbehinderter Menschen in diesen Einrichtungen beitragen.
2.1 Anrechnungssatz
Rz. 4
Auf die Ausgleichsabgabe können 50 v. H. des auf die Arbeitsleistung der Werkstatt entfallenden Rechnungsbetrages solcher Aufträge angerechnet werden.
Der auf die Arbeitsleistung der Werkstatt entfallende Rechnungsbetrag ist in Abs. 1 Satz 1 als "Gesamtrechnungsbetrag abzüglich Materialkosten" definiert.
Rz. 5
Materialkosten sind die Kosten des im hergestellten oder verarbeiteten Produkt enthaltenen Fertigungsmaterials, das von der Werkstatt von außen zugekauft ist. Zu den Materialkosten gehören danach nicht nur die Kosten für die Materialien, die die Haupteigenschaft des hergestellten Produkts (also etwa das für die Fertigung von Paletten zugekaufte Holz) charakterisieren, sondern alle Materialien, die in die Herstellung des Produkts einfließen (in dem obigen Beispiel also auch Nägel, Leim u. a.).
Rz. 6
Hilfs- und Betriebsstoffe, die bei der Herstellung oder Verarbeitung zwar verwendet werden, jedoch nicht Teil des Produkts werden, sind dagegen keine Materialkosten.
Rz. 7
Keine abzuziehenden Materialkosten fallen an für:
- die Erbringung einer Dienstleistung (etwa Verpackung von vom Auftraggeber gestellten Produkten,
- die Lieferung von durch die Werkstatt hergestellten oder verarbeiteten Waren ausschließlich aus vom Auftraggeber gestellten, also nicht von der Werkstatt auf eigene Kosten eingekauften Materialien,
- die Lieferung von Erzeugnissen der Landwirtschaft oder Tierzucht der Werkstatt.
Rz. 8
Für die Bewertung der Materialkosten ist der Einkaufspreis maßgeblich.
Rz. 9
Die Beschränkung der Anrechnung auf einen Teil der Arbeitsleistung ist im Rahmen des Gesetzes zur Reform des Sozialhilferechts v. 23.7.1996 (BGBl. I S: 1088) mit Wirkung zum 1.8.1996 erfolgt. Bis dahin war der Gesamtrechnungsbetrag einschließlich der Materialkosten berücksichtigungsfähig. Von diesem Rechnungsbetrag konnten – unter der Voraussetzung, dass hierin eine Arbeitsleistung der Werkstatt von wenigstens 30 v. H. enthalten war – 30 v. H. auf die Ausgleichsabgabe angerechnet werden. Die Regelung wurde geändert, um auszuschließen, dass Aufträge mit hohem Materialwert und entsprechend hohen Rechnungsbeträgen auf die Ausgleichsabgabe angerechnet werden können (Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drs. 13/2440).
2.2 Berücksichtigungsfähige Arbeitsleistung
Rz. 10
Seit dem 1.8.1996 ist für die Anrechnung die Arbeitsleistung der Werkstatt die Bemessungsgrundlage. Aus dem Zweck der Regelung, durch die Vergabe von Aufträgen an Werkstätten für behinderte Menschen zur Beschäftigung behinderter Menschen in diesen Einrichtungen beizutragen, folgt, dass nur die Arbeitsleistung der Werkstattbeschäftigten berücksichtigungsfähig ist. Das sind diejenigen behinderten Menschen, die wegen Art oder Schwere ihrer Behinderung nicht, noch nicht oder noch nicht wieder auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt beschäftigt werden können, sondern zur Teilhabe am Arbeitsleben auf diese besonderen Einrichtungen angewiesen sind.
Rz. 11
Aus der Formulierung "Arbeitsleistung der Werkstatt" ist in der Praxis verschiedentlich geschlossen worden, abzustellen sei auf die Institution "Werkstatt". Deshalb käme es nicht allein auf die Arbeitsleistung "Werkstattbeschäftigter" an, vielmehr müsse auch die Arbeitsleistung anderer, etwa "produktivitätssteigernder" – auch nichtbehinderter – Mitarbeiter, die in der Werkstatt beschäftigt oder für die Werkstatt tätig seien, berücksichtigt werden.
Rz. 12
Diese Auffassung steht nicht in Einklang mit Sinn und Zweck der Vergünstigung. Sie unterstellt, dass eine Anerkennung als Werkstatt für behinderte Menschen, die als Einrichtung zur Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben und zur Eingliederung in das Arbeitsleben für einen abschließend bestimmten Personenkreis behinderter Menschen (vgl. § 219 Abs. 1) def...