a) Direktanspruch in allen Fällen der "Unmöglichkeit"
"Unmöglichkeit" der Rückforderung: Zum einen war eigentlich nicht wirklich zweifelhaft, dass die Durchsetzung des zivilrechtlichen Anspruchs des LE gegen L auf Rückzahlung der MwSt-Beträge auch dann unmöglich ist, wenn L sich auf Verjährung beruft – also nicht nur dann, wenn L insolvent ist. Der Gerichtshof wies daher auch darauf hin, dass er die Insolvenz eines Leistenden immer lediglich als Beispiel der Unfähigkeit zur Rückzahlung genannt ("insbesondere"), andere Fälle damit aber nicht ausgeschlossen habe.
Gleiche Wirkung: Das macht unseres Erachtens Sinn. Für den LE ist es im Prinzip relativ gleichgültig, ob er sein Geld nicht zurückbekommt, weil der L insolvent ist oder weil der L die Zahlung aus anderen Gründen verweigern kann. LE bleibt ohne Direktanspruch auf dem Schaden sitzen.
Änderung des BMF-Schreibens erforderlich: Damit dürfte die Auffassung der deutschen Finanzverwaltung zu dieser Frage, die im BMF-Schr. v. 12.4.2022 ihren Niederschlag gefunden hat, vom Tisch sein. In diesem Schreiben geht das BMF davon aus, dass ein Direktanspruch des LE allein im Fall einer (abschließend festgestellten) Insolvenz des L besteht. In dem Fall, dass L die Einrede der Verjährung erhebt, soll LE kein Direktanspruch zustehen. Hierzu wird ausgeführt, der Direktanspruch gegen den Fiskus sei in der Weise akzessorisch zu dem Anspruch des LE gegen den L, dass ein Direktanspruch gegenüber dem Fiskus ausscheide, wenn der Anspruch des LE gegen den L aufgrund zivilrechtlicher Verjährung nicht mehr durchgesetzt werden könne. Diese Ausführungen müssen nun wohl angepasst werden.
b) Was heißt "übermäßig schwierig"?
"Übermäßig schwierig": Offen bleibt allerdings auch nach der Entscheidung des EuGH, in welchen Fällen LE ein Direktanspruch gegen sein FA zustünde, weil die Durchsetzung seines Rückzahlungsanspruchs gegen L "übermäßig schwierig" ist. Die beiden – beispielhaft genannten Fälle – der Insolvenz und Verjährung dürften wohl in die Kategorie "unmöglich" fallen. Dazu, was unter "übermäßig schwierig" zu verstehen ist, hat sich der EuGH noch nicht geäußert.
c) Unredliches Verhalten des Leistungsempfängers?
Allgemeiner Hinweis des EuGH: Unklar ist auch, was der EuGH meint, wenn er ausführt, dem LE dürfe der Direktanspruch nicht versagt werden, wenn "ihm weder Betrug noch Missbrauch oder nachweisliche Fahrlässigkeit vorzuwerfen sind." Solche Fälle sind, außer bei kollusivem Zusammenwirken mit L, kaum denkbar. Es dürfte sich daher bei den Ausführungen des EuGH um einen allgemeinen Vorbehalt handeln, der sich aus der in den vorstehenden Randnummern des Urteils zitierten Rechtsprechung ergibt und keinen konkreten Zusammenhang zum vorgelegten Fall aufweist.
Obliegenheiten des LE lt. FG Münster: Auch das FG Münster hatte im Vorlagebeschluss ausgeführt, der LE hätte Vorkehrungen zur Sicherung seiner zivilrechtlichen Ansprüche gegen L treffen müssen, z.B. durch rechtzeitige Einholung des Verzichts auf die Einrede der Verjährung. Diese Ausführungen blieben allerdings insofern im luftleeren Raum stehen als nicht klar wird, wie sich LE – nachdem im Jahr 2019 entschieden wurde, dass sein Vorsteuerabzug für die VZ 2011 – 2013 zu kürzen sei – schon vorher darum hätte kümmern können, dass keine Verjährung eintritt.
In der Sache jetzt wohl geklärt: Nach dem vorliegenden Urteil des EuGH erschiene es jedenfalls verwunderlich, wenn man die Geltendmachung des Direktanspruchs, der gerade aufgrund der Verjährung der zivilrechtlichen Ansprüche des LE gegen L entsteht, deswegen versagen wollte, weil Verjährung eingetreten ist.