Prof. Dr. Bernhard Schwarz †
Rz. 49
Das Verschulden eines Vertreters, nicht dagegen das Verschulden nicht vertretungsberechtigter Hilfspersonen, wird dem Vertretenen wie eigenes Verschulden zugerechnet. Vertreter sind – auch wenn dies im Gegensatz zu § 86 Abs. 1 S. 2 RAO nicht mehr ausdrücklich gesagt wird – nach allgemeiner Verwendung des Wortes der gesetzliche Vertreter und der rechtsgeschäftlich bestellte Vertreter. Beim Vorhandensein gesetzlicher Vertreter u. ä. Personen nach §§ 34, 35 AO ist deren Verschulden den vertretenen Personen ohnehin zuzurechnen, da durch sie gehandelt wird. Auch das Verschulden eines Untervertreters ist dem Betroffenen zuzurechnen. Das gilt auch für den von einem gesetzlichen Vertreter bestellten Untervertreter. Der Nachlasspfleger ist Vertreter, nicht dagegen der Testamentsvollstrecker.
Die Zurechnung des Vertreterverschuldens an den Vertretenen ist im Übrigen verfassungsrechtlich unbedenklich.
Rz. 50
Die Zurechnung des Verschuldens setzt ein wirksames Vertretungsverhältnis voraus. Ohne ausreichende Vertretungsmacht kann ein Verschulden nicht zugerechnet werden. Der Prokurist einer KG, zu dessen Aufgabenbereich die Einlegung und Führung von Rechtsbehelfen und Rechtsmitteln gehört, ist Vertreter der KG i. S. d. § 110 Abs. 1 S. 2 AO. Zu den Vertretern gehören auch die zur Vertretung einer Behörde befugten Personen sowie die Vertreter von Vertretern. Der Bote und der Angestellte des Vertreters sind nicht selbst Vertreter. Das Verschulden einer nicht vertretungsberechtigten Hilfsperson ist dem Stpfl. nicht zuzurechnen. Dagegen ist der Urlaubsvertreter des Prozessbevollmächtigten ein Vertreter i. S. d. Abs. 1 S. 2 (OVG Hamburg v. 21.10.1992, OVG Bs 344/92, MDR 1993, 688). Auch die Urlaubsvertreter des eigentlichen Vertreters sind Vertreter in diesem Sinn (OVG Hamburg v. 21.10.1992, OVG Bs 344/92, MDR 1993, 688). Der selbstständig und eigenverantwortlich tätige Angestellte, der selbst Jurist, Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer ist, ist als Unterbevollmächtigter anzusehen, so dass sein Verschulden dem Mandanten zuzurechnen ist. Das Fehlverhalten einer Hilfsperson kann jedoch ein Verschulden des Stpfl. selbst nach außen sichtbar werden lassen. Die Niederlegung bzw. der Entzug des Mandats beendet als interner Vorgang nicht das Vertretungsverhältnis. Dennoch kann ein nachfolgendes Verschulden des Vertreters nach Kündigung der Vollmacht im Innenverhältnis dem Vertretenen nicht mehr zugerechnet werden. Das erforderliche Vertrauensverhältnis zwischen dem Betroffenen und dem bisherigen Vertreter, auf dem die Zurechnung des Vertreterverschuldens durch das Gesetz beruht, besteht nach der Kündigung des Mandatsverhältnisses nicht mehr. Daher setzt die Zurechnung des Vertreterverschuldens bei Anwälten und anderen Rechtsberatern ein im Innenverhältnis wirksames Mandat voraus, während ein nach der Kündigung des Mandatsverhältnisses liegendes schuldhaftes Verhalten nicht entscheidend ist.
Rz. 51
Bei mehreren Prozessbevollmächtigten ist das Verschulden eines von ihnen auch dann dem Beteiligten zuzurechnen, wenn dieser Bevollmächtigte die Sache nicht bearbeitet, sondern nur die Übermittlung des Schriftsatzes übernimmt. Ist dagegen nur ein Mitglied einer Anwalts- oder Steuerberatersozietät oder nur ein Partner einer Partnerschaftsgesellschaft bevollmächtigt, so ist das Verschulden eines dennoch tätig gewordenen anderen Sozius oder Partners dem Beteiligten nicht zuzurechnen.
Sind mehrere Berater mit der Wahrnehmung der rechtlichen Interessen des Beteiligten betraut, so können sich die Vertretungspflichten in einzelnen Bereichen überschneiden. Es ist aber auch eine eindeutige Trennung der Aufgaben möglich (z. B. für einzelne Instanzen eines Rechtsbehelfsverfahrens). Erfüllt der einzelne Vertreter seine Aufgaben und sorgt für ordnungsmäßige Überleitungen, so fehlt bei ihm ein Verschulden. Beide bzw. alle Berater haben dabei in eigener Verantwortung geeignete und verlässliche Maßnahmen zu treffen, die eine zuverlässige Information über die einzuhaltenden Fristen sicherstellen. Ist eine Vertretung durch zwei Bevollmächtigte nebeneinander gegeben, so ist zur Fristenkontrolle ein Zusammenwirken und gegenseitiges Informieren der Bevollmächtigten erforderlich. Eine Frist beginnt in einem solchen Fall mit der früheren der beiden Bekanntgaben. Daher ist die Fristenkontrolle so zu organisieren, dass die endgültige Frist erst dann berechnet und eingetragen wird, wenn geklärt ist, an welchen der Bevollmächtigten die erste Bekanntgabe stattgefunden hat. Zu beachten ist, dass die Bestellung eines weiteren Vertreters nicht zugleich den Widerruf der Vollmacht des bisher alleinigen Vertreters enthält.
Rz. 52
Bei Niederlegung oder Entzug des Mandats und dem damit verbundenen Erlöschen der Vollmacht muss sich der Vertretene das Verschulden des Bevollmächtigten entgegen der früheren Auffassung in BFH v. 23.11.1993, V B 102/93, BFH/NV 1994, 643 nicht mehr zurechnen lassen, auch wenn das Vertre...