Prof. Dr. Bernhard Schwarz †
Rz. 21
Das Verschulden eines Vertreters, dagegen nicht das Verschulden nicht vertretungsberechtigter Hilfspersonen ist dem Vertretenen wie eigenes Verschulden zuzurechnen. Mangels einer besonderen Regelung in § 56 Abs. 1 FGO selbst folgt dies aus § 155 FGO i. V. m. §§ 51 Abs. 2, 85 Abs. 2 ZPO. Danach gilt die Zurechnung des Verschuldens sowohl für den gesetzlichen Vertreter als auch für den Bevollmächtigten. Auch das Verschulden eines Untervertreters ist dem Verfahrensbeteiligten zuzurechnen. Während der Nachlasspfleger i. d. S. Vertreter ist, kann der Testamentsvollstrecker nicht als Vertreter angesehen werden. Auch der vom gesetzlichen Vertreter bestellte Bevollmächtigte bzw. ein Unterbevollmächtigter ist ein Vertreter, dessen Verschulden dem Vertretenen zuzurechnen ist. Die Zurechnung des Vertreterverschuldens an den Vertretenen ist im Übrigen verfassungsrechtlich unbedenklich.
Rz. 22
Die Zurechnung des Verschuldens setzt ein wirksames Vertretungsverhältnis voraus. Ohne ausreichende Vertretungsmacht kann ein Verschulden nicht zugerechnet werden. Das Verschulden einer nichtvertretungsberechtigten Hilfsperson ist dem Betroffenen nicht zuzurechnen. Der Prokurist einer KG, zu dessen Aufgabenbereich die Einlegung und Führung von Rechtsbehelfen und Rechtsmitteln gehört, ist Vertreter der KG. Zu den Vertretern gehören auch die zur Vertretung einer Behörde befugten Personen. Auch der Urlaubsvertreter des Prozessbevollmächtigten ist Vertreter i. d. S. (OVG Hamburg v. 21.10.1992, OVG Bs 344/92, MDR 1993, 688). Die Niederlegung bzw. der Entzug des Mandats beendet als interner Vorgang nicht das Vertretungsverhältnis. Dennoch kann ein nachfolgendes Verschulden des Prozessvertreters nach Kündigung der Prozessvollmacht im Innenverhältnis dem Vertretenen nicht mehr zugerechnet werden. Das erforderliche Vertrauensverhältnis zwischen dem Beteiligten und dem Prozessvertreter, auf dem die Zurechnung des Vertreterverschuldens durch das Gesetz beruht, besteht nach der Kündigung des Mandatsverhältnisses nicht mehr. Dennoch setzt die Zurechnung des Vertreterverschuldens bei Anwälten und anderen Rechtsberatern ein wirksames Mandat im Innenverhältnis voraus, während ein nach der Kündigung des Mandatsverhältnisses liegendes schuldhaftes Verhalten des Anwalts oder sonstigen Rechtsberaters von § 85 Abs. 2 ZPO nicht erfasst wird. Der selbstständig tätige Angestellte, der selbst Jurist, Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer ist, ist als Unterbevollmächtigter anzusehen, sodass sein Verschulden dem Mandanten zuzurechnen ist. Der Bote und der unselbstständig tätige Angestellte des Vertreters wie auch die Arbeitskräfte in der Schreibkanzlei des Finanzamts sind nicht selbst Vertreter. Das Fehlverhalten einer Hilfsperson kann jedoch ein Verschulden des Betroffenen selbst nach außen sichtbar werden lassen (vgl. Rz. 26ff.).
Rz. 23
Bei mehreren Prozessbevollmächtigten ist das Verschulden eines von ihnen auch dann dem Beteiligten zuzurechnen, wenn dieser Bevollmächtigte die Sache nicht bearbeitet, sondern nur die Übermittlung des Schriftsatzes übernimmt. Ist dagegen nur ein Mitglied einer Anwalts- oder Steuerberatersozietät bevollmächtigt, so ist das Verschulden eines dennoch tätig gewordenen anderen Sozius dem Beteiligten nicht zuzurechnen. Überschneiden sich die Vertretungspflichten mehrerer getrennt beauftragter Berater in einzelnen Bereichen, so ist für jeden der Vertreter zu ermitteln, ob er seine Aufgaben erfüllt und für ordnungsmäßige Überleitungen gesorgt hat. Ist dies zu bejahen, so fehlt bei ihm ein Verschulden. Beide bzw. alle Vertreter haben hierbei in eigener Verantwortung geeignete und verlässliche Maßnahmen zu treffen, die eine zuverlässige Information untereinander über die einzuhaltenden Fristen sicherstellen.
Bei Niederlegung oder Entzug des Mandats muss sich der Vertretene das Verschulden des Bevollmächtigten nicht zurechnen lassen, auch wenn für die Zustellungen das Vertretungsverhältnis solange als weiter bestehend gilt, als das Vertretungsverhältnis nicht durch entsprechende Erklärung gegenüber dem FG beendet ist.
Rz. 24
Der subjektive Verschuldensbegriff gilt auch für das Verhalten des Vertreters. Bei der Beurteilung der Frage, ob ein Verschulden des Vertreters gegeben ist, sind allein seine persönlichen, beruflichen und sonstigen besonderen Umstände zu beurteilen. Es gelten dabei die in Rz. 17-20 aufgestellten Regeln. Im Einzelfall kann danach ein Verschulden des Vertreters, nicht dagegen des Vertretenen oder umgekehrt vorliegen, obwohl sich beide gleich verhalten haben. Für den Ausschluss der Wiedereinsetzung reicht allerdings das Verschulden einer der beiden Personen aus. Bevollmächtigte sind zu einer besonderen Beachtung des Verhältnisses zum Vertretenen verpflichtet. Unklare Absprachen zwischen beiden, mangelnde Informationen untereinander und ähnliche Ursachen für eine Fristversäumung sind dem Vertretenen ebenfalls als verschuldet zuzure...