Rz. 71
Die Hilfeleistung darf die Souveränität, die Sicherheit, die öffentliche Ordnung und andere wesentliche Interessen des Bundes und der anderen Gebietskörperschaften nicht beeinträchtigen. Dies entspricht im Prinzip Art. 26 Abs. 3 Buchst. c OECD-Musterabkommen DBA 2014 und den meisten DBA-Amtshilfeklauseln. Bei einer zu erwartenden Beeinträchtigung ist kein Raum für eine Interessenabwägung.
Rz. 72
Die Amtshilfe darf auch nicht die Gefahr bei einem inländischen Beteiligten insofern hervorrufen, als ein Handels-, Industrie-, Gewerbe- oder Berufsgeheimnis oder ein Geschäftsverfahren preisgegeben wird. Zum Bereich dieser geschützten Geheimnisse vgl. Rz. 47-50, 74.
Die Vorschrift schließt eine Kulanzauskunft nicht in jedem Fall aus, in dem eines der genannten Geheimnisse preisgegeben wird. Entgegen Art. 26 Abs. 3 Buchst. b OECD-Musterabkommen DBA 2014 und abweichend von den meisten DBA, Art. 17 Abs. 4 1. Halbs. EU-Amtshilferichtlinie und § 4 Abs. 3 Nr. 3 EUAHiG, die allein die Geheimnispreisgabe als ausschlaggebend ansehen, fordert § 117 Abs. 3 Nr. 4 AO das Unterlassen der Amtshilfe nur für den Fall, dass durch die Preisgabe die Gefahr eines bestimmten Schadens eintritt. Gegenüber den absoluten anderen Vereinbarungen bzw. Regelungen werden von § 117 Abs. 3 Nr. 4 AO relativierte Voraussetzungen aufgestellt.
Rz. 73
Für den Ausschluss der Kulanzauskunft nach § 117 Abs. 3 Nr. 4 AO muss zu befürchten sein, dass durch die Preisgabe ein Schaden verursacht wird, der mit dem Zweck der Amtshilfe nicht zu vereinbaren ist. Dies muss im Einzelfall genau geprüft werden. Ist die schädliche Folge der Auskunft allein die richtige steuerliche Behandlung des Beteiligten im Ausland, so ist diese konkrete Amtshilfe nicht nur mit dem Zweck der Amtshilfe vereinbar, sondern entspricht sogar dem Hauptziel des gegenseitigen Amtshilfeverkehrs. Besteht das Geheimnis in dem Vorhandensein von Geschäftsbeziehungen mit inländischen Geschäftspartnern und würden diese damit stark beeinträchtigt, so müsste dieser Schaden hingenommen werden, da das Vorhandensein und der Inhalt der Geschäftsbeziehungen über die Grenze gerade ein Hauptansatzpunkt für den zwischenstaatlichen Amtshilfeverkehr sind. Im Einzelfall kann aber auch einmal das Bestehen einer bestimmten Geschäftsbeziehung durch ihren besonderen Inhalt aus diesem Rahmen herausfallen. Ihre Geheimhaltung könnte sogar aus Gründen der Sicherheit der Bundesrepublik erforderlich sein.
Rz. 74
Die Gefahr eines solchen Schadens reicht für den Ausschluss der Amtshilfe aus. Dabei ist als Gefahr nicht eine fast sichere Wahrscheinlichkeit eines Schadens erforderlich, die konkrete Möglichkeit des Schadenseintritts reicht aus. In jedem Einzelfall ist wegen des hohen Stellenwerts des Geschäfts- und Betriebsgeheimnisses im deutschen Wirtschaftsrecht und Wirtschaftsleben eine äußerst genaue Prüfung anzustellen, ob die Möglichkeit eines Schadens besteht. Im Zweifelsfall ist die Auskunft nicht zu erteilen. Die erforderliche konkrete Gefährdung kann sich bereits aus dem Inhalt der geforderten Information ergeben. Sie kann auch aus den Gesamtumständen des Einzelfalls folgen. Ist neben dem inländischen Beteiligten auch ein Geschäftspartner im ersuchenden Staat betroffen, so ist zu befürchten, dass ihm aus Gründen des rechtlichen Gehörs der Auskunftsinhalt über den inländischen Geschäftspartner bekannt wird. Geheimnisse des inländischen Beteiligten, die dem Geschäftspartner aus unternehmerischen Gründen gerade nicht zugänglich werden sollen, sind daher grundsätzlich von der Amtshilfe ausgeschlossen. Im Konzernbereich darf dies nicht gelten. Hierzu wird zwar in der Literatur häufig darauf hingewiesen, dass die Kenntnisse stets aus dem Konzernbereich heraus in die ausländische Behörde gelangen. Wenn die Gefahr einer missbräuchlichen Verwendung in oder durch diese Behörde besteht, so ist bereits nach § 117 Abs. 3 Nr. 2 AO die Auskunft ausgeschlossen oder deswegen, weil die öffentliche Ordnung beeinträchtigt würde. Zweckmäßigkeitsgründe mögen es allerdings den entscheidenden Behörden nahe legen, die Ablehnung der Auskunft mit der Verletzung von Geheimnissen und nicht mit der Gefahr missbräuchlicher Verwendung zu begründen.
Rz. 75
Der Schaden muss für den inländischen Beteiligten zu befürchten sein. Inländischer Beteiligter kann nach dem Wortlaut der Vorschrift nur der Beteiligte des § 78 AO sein. Es besteht jedoch kein vernünftiger Grund, die inländischen anderen Personen nicht ebenfalls hinsichtlich ihrer Geheimnisse und Geschäftsverfahren zu schützen. Ein Schutz dieser Personen ist sogar in verstärkter Form angebracht. Der Gesetzgeber hat bei seiner Formulierung "inländischer Beteiligter" offensichtlich übersehen, dass auch andere Personen Ziel eines Amtshilfeersuchens sein können. Es besteht also eine Lücke im Gesetz, die durch analoge Anwendung der Nr. 4 ausgefüllt werden muss. Dabei ist bei der Abwägung zwischen dem Zweck der Amtshilfe und dem zu befürchtenden Schaden zu beachten, dass ein erheblicher...