Rz. 233
Abs. 6 enthält eine ergänzende Regelung für die Bekanntgabe von Verwaltungsakten. Erfasst werden alle steuerlichen Verwaltungsakte, also Steuerbescheide, wie Steuerbescheide behandelte Verwaltungsakte und sonstige Verwaltungsakte. Zu Feststellungsbescheiden vgl. Rz. 113, 129..
Sind mehrere Personen an dem steuerlichen Verfahren (Steuerfestsetzungsverfahren, sonstiges steuerliches Verwaltungsverfahren) beteiligt und von einem Verwaltungsakt betroffen, kann die Bekanntgabe an einen von ihnen mit Wirkung für und gegen die anderen Beteiligten erfolgen. Diese Vorschrift ist anwendbar auf folgende Fälle:
- Es sind mehrere Beteiligte vorhanden, ohne dass zusammengefasste Steuerbescheide ergehen können (z. B. GrSt bei mehreren Eigentümern; VSt bis Vz 1996; GrESt; im Nachlass begründete Steuern bei mehreren Miterben).
- Es ergehen zusammengefasste Steuerbescheide, es wird aber nicht von der Möglichkeit des Abs. 7 Gebrauch gemacht (z. B. weil keine gemeinsame Anschrift besteht).
Mit dieser Vorschrift soll auch eine Lücke geschlossen werden, die entsteht, weil nach § 34 AO Vermögensverwalter (z. B. Testamentsvollstrecker) zwar verpflichtet sind, Steuererklärungen abzugeben, aber nicht berechtigt sind, die hierauf beruhenden Steuerbescheide in Empfang zu nehmen (vgl. Rz. 133ff.).
Rz. 234
Nicht anwendbar ist Abs. 6 auf einheitliche Feststellungsbescheide, obwohl § 122 AO als allgemeine Vorschrift auch für einheitliche Feststellungsbescheide gilt. Für einheitliche Feststellungsbescheide enthält § 183 AO jedoch eine Sonderregelung, die § 155 Abs. 3 AO vorgeht.
Rz. 235
Abs. 6 erfasst den Fall, dass mehrere Beteiligte keinen gemeinsamen Empfangsbevollmächtigten bestellt haben. Die Vorschrift fingiert, dass ein Beteiligter als Empfangsbevollmächtigter für die anderen Beteiligten tätig wird. Dem Rechtsschutz der Beteiligten dient es, dass die Vorschrift nur mit Zustimmung der Beteiligten anwendbar ist.
Vorrangig vor Abs. 6 ist die rechtsgeschäftliche Bestellung eines gemeinsamen Empfangsbevollmächtigten. Wenn und soweit die Beteiligten einen gemeinsamen Empfangsbevollmächtigten bestellt haben, ist an diesen nach den in Rz. 43 ff. dargestellten Regeln bekannt zu geben; von Abs. 6 kann die Finanzbehörde dann keinen Gebrauch machen.
Rz. 236
Eine Bekanntgabe nach Abs. 6 ist nur an einen Beteiligten möglich. Die Bekanntgabe an einen Dritten hat die Wirkung des Abs. 6 nicht; ein Dritter kann nur als rechtsgeschäftlich bestellter Empfangsbevollmächtigter auftreten.
Weitere Voraussetzung der Anwendung des Abs. 6 ist, dass die Beteiligten zustimmen. Die Zustimmung kann formlos (auch mündlich) erteilt werden, sie muss jedoch ausdrücklich gegeben werden.
Zustimmen müssen sowohl die Beteiligten, an die aufgrund des Abs. 6 nicht mehr bekannt gegeben wird, als auch derjenige Beteiligte, an den bekannt gegeben wird und der daher als Zustellungsbevollmächtigter handelt. Die Rolle als Zustellungsbevollmächtigter kann dem Beteiligten nicht gegen seinen Willen von der Finanzbehörde aufgedrängt werden.
Die Zustimmung der Beteiligten kann nicht unterstellt werden, sondern muss von dem einzelnen Beteiligten positiv erklärt werden. Allerdings kann die Zustimmung dann als stillschweigend erteilt angenommen werden, wenn die Bekanntgabe nach Abs. 6 längere Zeit mit Wissen der anderen Beteiligten unbeanstandet durchgeführt wurde. Ein Beteiligter, der nicht einverstanden ist, hat dann die Obliegenheit, bei gegebenem Anlass dieser Art der Bekanntgabe zu widersprechen.
Rz. 237
Hat ein Beteiligter seine Zustimmung erteilt, gilt sie solange, bis sie widerrufen wird. Die Bekanntgabe an einen Beteiligten erfolgt, anders als bei Abs. 7, nur aufgrund der ausdrücklich erteilten Zustimmung des Beteiligten und ist daher wertungsmäßig der rechtsgeschäftlichen Bestellung eines Empfangsbevollmächtigten vergleichbar. Es ist daher gerechtfertigt, § 80 Abs. 1 S. 4 AO entsprechend anzuwenden; danach kann die Zustimmung widerrufen werden, der Widerruf wird jedoch erst wirksam, wenn er der Finanzbehörde zugeht. Die Behörde braucht also nicht jedes Mal erneut um Zustimmung nachzusuchen. Es obliegt dem einzelnen Beteiligten, seinen Widerruf der Zustimmung der Finanzbehörde mitzuteilen.
Rz. 238
Die Zustimmung gilt bis zum Widerruf auch dann noch, wenn zwischen den Beteiligten ernsthafte Meinungsverschiedenheiten ausgebrochen sind und die Finanzbehörde dies weiß oder wissen muss. Der Beteiligte hat ausdrücklich seine Zustimmung zur Bekanntgabe nach Abs. 6 erklärt; er hat daher die Obliegenheit, diese Zustimmung gegenüber der Finanzbehörde zu widerrufen, wenn er Bekanntgabe an sich erreichen möchte. Anders als bei § 122 Abs. 7 AO sowie § 183 Abs. 2 AO kann eine Bekanntgabe nach Abs. 6 ohne ausdrückliche Zustimmung des Beteiligten nicht erfolgen.
Rz. 239
Ob von der Bekanntgabeerleichterung des Abs. 6 Gebrauch gemacht wird, liegt im Ermessen der Finanzbehörde. Das Ermessen ist auch auszuüben, wenn die Zustimmung des Beteiligten vorliegt; allerdings wird dann die Bekanntgabe nach Abs. 6 i...