Rz. 8

Zur Erläuterung des Abs. 1 und zur Erweiterung auf gewisse Verwaltungsakte, deren Fehlerhaftigkeit nicht evident ist, enthält Abs. 2 Fallgruppen, in denen die Nichtigkeit ohne Rücksicht auf die Evidenz der Fehler zu bejahen ist.

Nach Nr. 1 ist ein schriftlicher oder elektronisch erlassener Verwaltungsakt nichtig, der die erlassende Behörde nicht erkennen lässt; wäre ein solcher Verwaltungsakt nur anfechtbar, wäre der Rechtsschutz des Beteiligten eingeschränkt, da er häufig nicht ermitteln könnte, bei welcher Behörde das Rechtsmittel einzulegen ist. Bei elektronisch erlassenen Verwaltungsakten gilt die Regelung sowohl für qualifizierte als auch für einfache elektronische Verwaltungsakte.[1]

Nr. 2 erfasst nur die objektive tatsächliche Unmöglichkeit. Die rechtliche Unmöglichkeit (der Verwaltungsakt ist auf einen rechtlich nicht möglichen Erfolg gerichtet) und die subjektive Unmöglichkeit (Unvermögen; der Verwaltungsakt ist durchführbar, aber nicht von dem Beteiligten) fallen nicht unter diese Vorschrift.

Nach Nr. 3 macht nicht jeder Verstoß gegen ein Gesetz den Verwaltungsakt nichtig, da der Verwaltungsakt als hoheitliche Maßnahme die Vermutung der Wirksamkeit für sich hat und der Bürger hierauf vertrauen darf, sondern nur ein Verstoß gegen straf- oder bußgeldrechtliche Vorschriften, da insoweit die Gesetzeswidrigkeit dem Bürger durch eine Parallelwertung in der Laiensphäre erkennbar ist. Bei sonstigen Verstößen gegen das geltende Recht tritt grundsätzlich nur Anfechtbarkeit ein; bei schwerwiegenden evidenten Verstößen kann jedoch Nichtigkeit nach Abs. 1 vorliegen.

Nach Nr. 4 macht auch ein Sittenverstoß den Verwaltungsakt nichtig; die Sittenwidrigkeit ist ein von außen angelegter Maßstab, der von dem Bewusstsein der Beteiligten unabhängig ist. Sittenwidrig ist danach, was dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden widerspricht. Im Abgabenrecht kann Sittenwidrigkeit vor allem in den Fällen vorkommen, in denen ein Verwaltungsakt absichtlich der Schädigung des Gemeinwohls dient (z. B. Befreiung von bestimmten steuerlichen Pflichten, um dem Stpfl. eine Steuerhinterziehung zu ermöglichen) oder in denen die Behörde ihr Machtübergewicht zur Erreichung eines unerlaubten Zweckes ausnutzt (Koppelungsverbot).

[1] Zu den Begriffen vgl. Pahlke, in Schwarz/Pahlke, AO/FGO, § 119 AO Rz. 16; zur systematischen Einordnung vgl. Pahlke, in Schwarz/Pahlke, AO/FGO, § 119 AO Rz. 4.

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