Rz. 4
Die Einführung der Meldepflichten für grenzüberschreitende Steuergestaltungen dient ausweislich der Gesetzesbegründung einem zweifachen Ziel. Zum einen sollen insbesondere auch neuartige Steuergestaltungen von der Finanzverwaltung frühzeitig erkannt werden. Damit soll es dem Gesetzgeber ermöglicht werden, möglichst zeitnah bei Bedarf durch Gesetzesänderungen reagieren zu können und unerwünschte Strukturen einer angemessenen Besteuerung zu unterwerfen. Im Fokus stehen insbesondere sog. Steuervermeidungspraktiken und Gewinnverlagerungen, die zu einer Erosion des deutschen Steuersubstrats führen. Diese Gestaltungen widersprechen nach Auffassung des Gesetzgebers dem Prinzip der Steuergerechtigkeit. Diese Einschränkung ist umso erstaunlicher, als tatsächlich von der Meldepflicht viele Gestaltungen erfasst sind, die aus operativen und damit nicht steuerlichen Gründen gemacht werden und die auch keine Steuervermeidung als Ziel haben. Dies wird auch mit dem Hinweis auf die sog. Cum-Ex-Gestaltungen begründet. Dies ist aber eine nicht schlüssige Begründung, da zumindest in Deutschland diese Gestaltung in der Fachliteratur lange Zeit diskutiert worden ist, ohne dass der Gesetzgeber reagiert hat. Das Ziel, bestimmte Steuergestaltungen schneller zu erkennen bzw. von der Existenz zu erfahren, um dann eine Entscheidung treffen zu können, ob diese durch gesetzgeberische Maßnahmen verhindert oder höher besteuert werden, ist aber legitim.
Aus der Begründung zum Gesetzentwurf ergibt sich zudem, dass die Finanzverwaltung zunehmend Sorge hat, "komplexe zivilrechtliche Strukturen" nicht mit allen ihren steuerlichen Konsequenzen zu erkennen. In der Begründung wird insoweit immer darauf abgestellt, dass dadurch "gesetzlich nicht vorgesehene Steuervorteile" erlangt werden. Diese Einschränkung findet sich in dem Gesetzestext aber nicht wieder. Im Rahmen der allg. juristischen Auslegungsmethoden kann dieser Sinn und Zweck berücksichtigt werden; allerdings ist das Kriterium des gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteils sehr unbestimmt und damit fast nicht nutzbar.
Außerdem soll die Meldepflicht "veranlagungsunterstützend" wirken. Dies bedeutet, dass die Finanzverwaltung in der Betriebsprüfung derartige Gestaltungen einfacher erkennen will, da sie ja bereits gemeldet sind. Daher hat der Stpfl. die gemeldeten Gestaltungen in der Steuererklärung anzugeben, indem die jeweilige Meldenummer einzutragen ist.
Rz. 5
Die Meldung hat unmittelbar keine Wirkung auf die Besteuerung der Gestaltung. Die Finanzverwaltung kann daher aus einer erfolgten Meldung keine unmittelbaren Folgen ziehen. Im Rahmen der Veranlagung bzw. bei einer Betriebsprüfung kann die Finanzverwaltung die Gestaltung steuerlich anders beurteilen als der Stpfl. bzw. der Intermediär. Sofern die Finanzverwaltung die Gestaltung aber als illegal (d. h. als Steuerverkürzung oder Steuerhinterziehung) einordnet, kann sie entsprechende verfahrensrechtliche Schritte einleiten. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob die Meldung ggf. eine wirksame Selbstanzeige i. S. d. § 371 AO sein kann. Die Meldung kann schon dann keine wirksame Selbstanzeige sein, wenn die isolierte Meldung einer grenzüberschreitenden Steuergestaltung nicht dem Vollständigkeitsgebot der Selbstanzeige genügt d. h. nicht alle anzuzeigenden Sachverhalte für den relevanten Zeitraum und die relevante Steuerart erfasst. Dies wird immer dann der Fall sein, wenn sich die Selbstanzeige auf mehrere Tatbestände beziehen muss, um vollständig zu sein. Ebenfalls keine strafbefreiende Selbstanzeige kann für den Stpfl. vorliegen, wenn der Intermediär die Meldung vornimmt, weil dieser dann aus eigener Pflicht meldet und nicht für den Stpfl. Damit kann die Meldung nicht dem Stpfl. zugerechnet werden und kann schon aus diesem Grund keine wirksame Selbstanzeige für ihn sein. Sofern eine Gestaltung gemeldet ist, kann später keine wirksame Selbstanzeige mehr in dieser Sache gemacht werden, da die Gestaltung durch die Meldung dem FA bekannt geworden ist. Sofern bereits vom zur Meldung Verpflichteten die Gestaltung als Straftat oder Ordnungswidrigkeit eingeordnet wird, muss dieser wegen des nemo-tenetur Grundsatzes diese Gestaltung nicht melden. Zu beachten ist insoweit aber, dass dieser Grundsatz nur eingreift, wenn sich der zur Meldung Verpflichtete selbst belasten würde. Für andere Personen, die ggf. auch einer Meldepflicht unterliegen, sich aber durch die Meldung nicht selbst belasten würden, greift dieser Grundsatz nicht.