Rz. 12
Ein unter Verstoß gegen die sachliche Zuständigkeit ergangener Verwaltungsakt ist rechtswidrig und aufgrund eines rechtzeitigen Rechtsbehelfs des Betroffenen aufzuheben.
Die Vorschrift des § 127 AO, wonach die Aufhebung eines Verwaltungsakts nicht allein deshalb beansprucht werden kann, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, ist bei Verstößen gegen die sachliche Zuständigkeit nicht anwendbar.
Auch nach Eintritt der Unanfechtbarkeit können von einer sachlich unzuständigen Behörde erlassene Steuerbescheide und ihnen verfahrensmäßig gleichgestellte Bescheide gem. § 172 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b AO aufgehoben oder geändert werden. Andere von einer sachlich unzuständigen Behörde erlassene Verwaltungsakte dürfen nach § 130 Abs. 2 Nr. 1 AO auch insoweit zurückgenommen werden, als sie ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründen.
Der Mangel der sachlichen Zuständigkeit kann auch nicht durch die Gesamtüberprüfung des Streitfalls im Einspruchsverfahren geheilt werden. Deshalb wird die rechtswidrige Ablehnung des Erlasses einer Kindergeldrückforderung durch eine sachlich unzuständige Behörde nicht dadurch rechtmäßig, dass die für die Prüfung des Erlasses sachlich und örtlich zuständige Familienkasse den Einspruch gegen den Ausgangsbescheid als unbegründet zurückweist.
Rz. 13
Die Vorschrift des § 125 Abs. 3 Nr. 1 AO, dass ein Verwaltungsakt nicht schon deshalb nichtig ist, weil Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit nicht eingehalten worden sind, erlaubt nicht den Umkehrschluss, dass die Verletzung der Vorschriften über die sachliche Zuständigkeit stets die Nichtigkeit des Verwaltungsakts zur Folge hat. Dies folgt schon aus § 130 Abs. 2 Nr. 1 AO und § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Buchstabe b AO, weil es der darin getroffenen Regelungen zur Rücknahme bzw. Aufhebung oder Änderung von einer sachlich unzuständigen Behörde erlassener Verwaltungsakte anderenfalls nicht bedurft hätte.
Ein unter Verstoß gegen die sachliche Zuständigkeit ergangener Verwaltungsakt ist daher nur dann nichtig, wenn er einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist. Die in diesem Zusammenhang genannten Fälle der Ressortverwechslung erscheinen eher wirklichkeitsfremd. Auch besonders schwerwiegende Verstöße gegen die instanzielle Zuständigkeit in der Form, dass eine übergeordnete Finanzbehörde anstelle des FA einen Steuerbescheid erteilt oder über einen dagegen eingelegten Einspruch entscheidet, werden in der Realität kaum auftreten. Praktisch vorstellbar ist hingegen der umgekehrte Fall, dass ein FA tätig wird, obwohl ausnahmsweise eine übergeordnete Behörde für den Erlass des Verwaltungsakts zuständig ist. So würde es sich verhalten, wenn ein FA die Entscheidung über eine Billigkeitsmaßnahme nach § 34c Abs. 5 EStG trifft, ohne von der dafür an sich zuständigen obersten Landesfinanzbehörde damit beauftragt worden zu sein, oder in den Fällen des § 89 Abs. 2 S. 3 AO anstelle des BZSt eine verbindliche Auskunft erteilt. In derartigen Fällen dürfte die Nichtigkeitsfolge aber an der fehlenden Offenkundigkeit des Fehlers scheitern. Ebenso dürfte es sich verhalten, wenn ein aufgrund einer Zuständigkeitskonzentration nach § 17 Abs. 2 S. 3 und 4 FVG nicht mehr für eine bestimmte Sachaufgabe zuständiges FA tätig wird. Nichtig sein soll hingegen die von einem FA unter Verstoß gegen die Zuständigkeit des BZSt vorgenommene Erweiterung einer Lohnsteuer-Außenprüfung auf die Prüfung des Steuerabzugs nach § 50 Abs. 1 EStG.
Nichtig sein soll nach verbreiteter Ansicht auch ein Verwaltungsakt, der unter Verstoß gegen die verbandsmäßige Zuständigkeit zustande gekommen ist. Dem ist u. E. schon deshalb nicht zu folgen, weil die Rechtsfigur der verbandsmäßigen Zuständigkeit nicht anzuerkennen ist.