Prof. Dr. Gerrit Frotscher
Rz. 82a
Bei § 6b EStG ist aufgrund der gesellschafterbezogenen Betrachtungsweise eine Übertragung der stillen Reserven sowohl zwischen Anlagegütern der Personengesellschaft als auch zwischen denen der Personengesellschaft und Wirtschaftsgütern des Sonderbetriebsvermögens oder eines eigenen Betriebs des Mitunternehmers möglich, jeweils in Höhe der Beteiligungsquote des Mitunternehmers. Das Wahlrecht wird von dem jeweiligen Mitunternehmer für seine Beteiligungsquote ausgeübt. Das Wahlrecht wird in dem veräußernden Betrieb ausgeübt, und zwar auch, wenn die Rücklage auf einen anderen Betrieb des Mitunternehmers übertragen werden soll.
Es ist fraglich, ob die Entscheidung über die Ausübung des Wahlrechts in der Bilanz des veräußernden Betriebs eine gesonderte Feststellung darstellt, die als Grundlagenbescheid Bindungswirkung für den übernehmenden Betrieb als Folgebescheid entfalten würde. Der BFH vermisst in § 6b EStG eine Bestimmung, die eine gesonderte Feststellung ermöglichen würde. Nach § 179 Abs. 1 AO sei eine gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen nur bei einer ausdrücklichen Rechtsgrundlage möglich; daran fehle es bei § 6b EStG.
Rz. 82b
Veräußert ein Mitunternehmer seinen Mitunternehmeranteil oder scheidet er aus sonstigen Gründen aus der Mitunternehmerschaft aus, kann er für nach § 6b EStG geeignete Wirtschaftsgüter die Rücklage bilden, und zwar auch, wenn er (noch) kein gewerbliches Einzelunternehmen unterhält. Über die Zulässigkeit dieser Rücklage nach § 6b EStG im Zusammenhang mit dem Ausscheiden eines Beteiligten hat das für die Mitunternehmerschaft, deren Beteiligung veräußert worden ist, zuständige FA zu entscheiden. Da es für die Bildung der Rücklage darauf ankommt, ob und welche Wirtschaftsgüter der Mitunternehmerschaft die Bildung einer Rücklage zulassen, welcher Teil des Kaufpreises diesen von dem ausscheidenden Mitunternehmer als anteilig veräußert geltenden Wirtschaftsgütern zuzuordnen ist und wie hoch der dadurch entstehende Gewinn ist, ist das Betriebsstättenfinanzamt am ehesten geeignet, diese Entscheidungen zu treffen. Die Entscheidung ist im Gewinnfeststellungsverfahren der veräußernden Mitunternehmerschaft zu treffen, indem die Rücklage in der Sonderbilanz des ausscheidenden Gesellschafters zu bilden ist. Dabei bleibt nach den Ausführungen in Rz. 82a jedoch offen, ob diese Entscheidung Bindungswirkung für den übernehmenden Betrieb entfaltet.
Rz. 82c
Wird die Rücklage auf ein Ersatzwirtschaftsgut in einem Einzelunternehmen des Mitunternehmers übertragen oder ist sie aufzulösen, weil die Frist zur Übertragung abgelaufen ist, etwa weil ein ausgeschiedener Mitunternehmer keinen neuen Betrieb unterhält, ist über die Besteuerung der Übertragung der Rücklage bzw. ihre Auflösung im Besteuerungsverfahren des investierenden Betriebs bzw. des veräußernden (ehemaligen) Mitunternehmer zu entscheiden. Bis zur Übertragung auf ein anderes Wirtschaftsgut bzw. bis zur Auflösung der Rücklage wegen Ablaufs der Reinvestitionsfrist ist die Rücklage in der Bilanz bzw. Sonderbilanz des veräußernden Betriebs fortzuführen. Ist der veräußernde Stpfl. im Zeitpunkt der Übertragung der Rücklage bzw. ihrer Auflösung nicht mehr Mitunternehmer der veräußernden Mitunternehmerschaft, kann die Rücklage nicht mehr im Gewinnfeststellungsverfahren der Mitunternehmerschaft erfolgen. Die Auswirkungen dieses Vorgangs treffen den veräußernden ehemaligen Mitunternehmer persönlich. Da er nicht mehr Mitunternehmer ist, sind an diesen Einkünften nicht mehr "mehrere Personen beteiligt" i. S. d. § 179 Abs. 2 S. 2 AO, § 180 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Buchst. a AO. Es handelt sich um nachträgliche gewerbliche Einkünfte des ehemaligen Mitunternehmers, über die das für ihn zuständige Betriebs- oder Wohnsitzfinanzamt zu entscheiden hat. Die noch bestehenden Sonderbilanz des ausgeschiedenen Mitunternehmers bei der Mitunternehmerschaft ist für die Mitunternehmerschaft sowohl für die ESt als auch für die GewSt ergebnisneutral auszubuchen. Es entsteht dadurch zwar das Problem, dass entgegen § 6b Abs. 4 S. 1 Nr. 5 EStG Abzug und Auflösung der Rücklage nicht mehr in der Buchführung verfolgt werden können. Der BFH gibt in diesem Fall des Normwiderspruchs den Regelungen über die gesonderten Feststellungen aber Vorrang.