Rz. 21
Abs. 2 Nr. 1 beschreibt die Voraussetzungen, unter denen ein Wirtschaftsgut abweichend von Abs. 1 nicht dem nach Maßgabe des Zivilrechts Berechtigten, sondern demjenigen zugerechnet wird, der an dessen Stelle die mit der rechtlichen Herrschaft über das Wirtschaftsgut typischerweise verbundenen Befugnisse ausübt. Die Vorschrift ist Ausdruck der wirtschaftlichen Betrachtungsweise und verfassungsrechtlich unbedenklich.
Die Stellung dieses wirtschaftlich Berechtigten wird allgemein als wirtschaftliches Eigentum, dieser selbst als wirtschaftlicher Eigentümer bezeichnet. Diese an den Sprachgebrauch des Abs. 1 angelehnten Begriffsbildungen sind allerdings in zweifacher Hinsicht ungenau. Zum einen bezieht sich auch die Regelung des Abs. 2 Nr. 1 nicht nur auf Sachen, sondern auf Wirtschaftsgüter aller Art, sodass richtigerweise von "wirtschaftlicher Berechtigung" bzw. von dem "wirtschaftlich Berechtigten" gesprochen werden müsste. Zum anderen begründet Abs. 2 Nr. 1 keinen eigenständigen steuerrechtlichen Eigentumsbegriff, sondern bestimmt lediglich die Voraussetzungen, unter denen von der Regelzurechnung nach Abs. 1 abgewichen wird.
Wirtschaftliches Eigentum i. S. d. Abs. 2 Nr. 1 ist auch an herrenlosen Sachen möglich, also in Fällen, in denen es an einem zivilrechtlichen Eigentümer fehlt.
4.1 Begriff des wirtschaftlichen Eigentums (Abs. 2 Nr. 1 S. 1)
Rz. 22
Nach § 39 Abs. 2 Nr. 1 S. 1 AO ist ein Wirtschaftsgut einem anderen als dem (zivilrechtlichen) Eigentümer zuzurechnen, wenn dieser die tatsächliche Herrschaft darüber in der Weise ausübt, dass er den Eigentümer im Regelfall für die gewöhnliche Nutzungsdauer von der Einwirkung auf das Wirtschaftsgut wirtschaftlich ausschließen kann. Mit dieser Formel hat sich das Gesetz die Umschreibung des wirtschaftlichen Eigentums in der Leasing-Rspr. des BFH zu eigen gemacht. Da die allgemeine Definition des wirtschaftlichen Eigentums eine Vielzahl ungleichartiger zivilrechtlicher Rechtslagen umfasst, die Nichteigentümern eine eigentumsähnliche Rechtsposition verschaffen, erfordert die Anwendung der Vorschrift nach Ansicht des BFH die Bildung von Fallgruppen und eine wertende Zuordnung. Der dagegen erhobene Einwand, die Bildung von Fallgruppen habe zu Rechtsunsicherheit geführt und den Begriff des wirtschaftlichen Eigentums zu einem Typusbegriff verändert, greift u. E. nicht durch. Wegen der Unterschiedlichkeit der rechtlichen Gestaltungen, in denen sich die Frage nach dem wirtschaftlichen Eigentum stellt, ist es aus Gründen der Praktikabilität und der Vorhersehbarkeit der Entscheidung geradezu unerlässlich, die Gesichtspunkte, nach denen sich die Beurteilung der einzelnen Tatbestandsmerkmale der Vorschrift richtet, unter Berücksichtigung der Art des jeweils betroffenen Wirtschaftsguts für die praktisch bedeutsamsten Anwendungsfälle zu konkretisieren. Nur auf diese konkretisierenden Gesichtspunkte, nicht auf die Tatbestandsmerkmale des § 39 Abs. 2 Nr. 1 S. 1 AO selbst, bezieht sich die in der Rspr. des BFH wiederkehrende Aussage, dass wirtschaftliches Eigentum auch dann anzunehmen sein könne, wenn die von der Rspr. entwickelten Voraussetzungen nicht in vollem Umfang erfüllt seien. Maßgeblich für die Beurteilung der Frage, ob wirtschaftliches Eigentum vorliegt, ist das Gesamtbild der Verhältnisse im jeweiligen Einzelfall. Dabei ist nicht das formal Erklärte oder formal-rechtlich Vereinbarte, sondern das wirtschaftlich Gewollte und das tatsächlich Bewirkte ausschlaggebend.
Rz. 23
Die vom bürgerlich-rechtlichen Eigentum abweichende Zurechnung an den wirtschaftlichen Eigentümer setzt regelmäßig voraus, dass diesem durch vertragliche Vereinbarung oder aus anderen Gründen unter Begrenzung der formalen äußeren Rechtsmacht des zivilrechtlichen Eigentümers im Innenverhältnis Befugnisse gegeben sind, die den bürgerlich-rechtlichen Eigentümer für die gewöhnliche Nutzungsdauer wirtschaftlich von der Einwirkung ausschließen.
Rz. 24–25 einstweilen frei.