Rz. 36
§ 41 Abs. 1 S. 1 AO setzt voraus, dass die Beteiligten das wirtschaftliche Ergebnis eines Rechtsgeschäfts trotz dessen Unwirksamkeit oder Unwirksamwerdens eintreten und bestehen lassen. Die Vorschrift ist damit nur bei Vorliegen eines – wenn auch unwirksamen – Rechtsgeschäfts anwendbar. Sie kann nicht über ein noch gar nicht abgeschlossenes Rechtsgeschäft hinweghelfen. Das Rechtsgeschäft muss auf dasjenige wirtschaftliche Ergebnis gerichtet sein, das die Beteiligten eintreten und bestehen lassen. Ist nur ein Kaufvertrag, nicht aber das dem Vollzug des Kaufvertrags dienende dingliche Rechtsgeschäft abgeschlossen worden, so kann § 41 Abs. 1 S. 1 AO auf das dingliche Rechtsgeschäft nicht angewendet werden.
Rz. 37
Das wirtschaftliche Ergebnis des Rechtsgeschäfts lässt sich nur mit Blick auf den jeweiligen Steuertatbestand bestimmen. Regelmäßig ist darunter der tatsächliche Zustand zu verstehen, der der in dem Rechtsgeschäft getroffenen Regelung entspricht. Anders verhält es sich, wenn der Steuertatbestand nicht an die tatsächlichen Folgen des Rechtsgeschäfts, sondern an die mit ihm verbundenen Rechtswirkungen anknüpft. Im Fall des § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG, der ein Rechtsgeschäft voraussetzt, "das den Anspruch auf Übereignung begründet", ist das wirtschaftliche Ergebnis des Rechtsgeschäfts nicht etwas Reales, sondern die vertragliche Begründung eines Anspruchs, dessen Bestand und Durchsetzbarkeit auf der Rechtsordnung beruht. Ein gem. § 311b Abs. 1 S. 1 BGB der Beurkundung bedürftiger Vertrag, der jeglicher notarieller Beurkundung ermangelt, kann diesen Tatbestand in keinem Fall verwirklichen.
Rz. 38
Eintreten lassen die Beteiligten das wirtschaftliche Ergebnis des unwirksamen Rechtsgeschäfts, wenn sie sich so verhalten, als ob dieses wirksam wäre. Bestehen lassen die Beteiligten das wirtschaftliche Ergebnis, wenn sie die hierdurch bewirkten Vermögensverschiebungen als dauerhaft akzeptieren und – insbesondere in den Fällen des nachträglichen Unwirksamwerdens – nicht rückgängig machen. Das Eintreten- und Bestehenlassen des wirtschaftlichen Ergebnisses setzt eine entsprechende Gestaltungsmacht der Beteiligten, d. h. die Fähigkeit voraus, Folgerungen aus der anfänglichen oder nachträglichen Unwirksamkeit des Rechtsgeschäfts zu ziehen. Wie sich aus der Verwendung des Worts "soweit" ergibt, müssen die Beteiligten das wirtschaftliche Ergebnis des unwirksamen Rechtsgeschäfts nicht in vollem Umfang eintreten und bestehen lassen. Der Anwendungsbereich des § 41 Abs. 1 S. 1 AO ist auch dann eröffnet, wenn die Beteiligten das unwirksame Rechtsgeschäft nur teilweise vollziehen. Aus dem Begriff "solange" folgt, dass die Beteiligten das zunächst eingetretene und bestehen gelassene wirtschaftliche Ergebnis des Rechtsgeschäfts auch wieder beseitigen können (s. Rz. 52).
Rz. 39
Beteiligte des Rechtsgeschäfts sind nicht nur diejenigen, die an dessen Zustandekommen mitgewirkt haben, sondern alle, die durch Begünstigung oder Belastung "irgendwie" an dem Rechtsgeschäft beteiligt sind. Daher können auch einseitige Rechtsgeschäfte, insbesondere unwirksame Verfügungen von Todes wegen, in den Anwendungsbereich des § 41 Abs. 1 S. 1 AO fallen.