Rz. 30

Elektronische Dokumente sind geeignete Beweismittel i. S. d. § 92 AO. Ihre Behandlung im Beweisverfahren einschließlich der Beweiswürdigung ist Gegenstand des § 87a Abs. 5 AO. Die Vorschrift greift inhaltlich auf die zivilprozessualen Regelungen der §§ 292a und 371 Abs. 2 ZPO zurück.[1]

 

Rz. 31

Nach § 87a Abs. 5 S. 1 AO ist der Beweis bezüglich eines elektronischen Dokuments durch Vorlage oder Übermittlung der Datei anzutreten. Das Öffnen und Lesen der Datei ist Einnahme des Augenscheins i. S. d. § 98 AO.[2] Das Ergebnis der Wahrnehmung ist – wie auch immer – aktenkundig zu machen.[3] Befindet sich das Dokument weder im Besitz des Stpfl. noch im Besitz der Finanzbehörde, so sind Dritte in entsprechender Anwendung der Regeln über den Urkundenbeweis nach § 97 AO vorlage- und übermittlungspflichtig.[4] § 87a Abs. 5 S. 1 AO wurde insoweit aufgrund der Änderung des § 97 AO durch das Gesetz zur Umsetzung der Amtshilferichtlinie sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften (Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz – AmtshilfeRLUmsG) v. 26.6.2013, BGBl I 2013, 1809 redaktionell angepasst. Die Finanzbehörde hat bei ihrem Herausgabeverlangen anzugeben, dass das elektronische Dokument für die Besteuerung einer anderen Person benötigt wird. Sie kann das elektronische Dokument an Amtsstelle oder bei dem Dritten einsehen, wenn dieser damit einverstanden ist. Der Dritte hat ggf. auf seine Kosten diejenigen Hilfsmittel zur Verfügung zu stellen, mit denen das Dokument lesbar gemacht werden kann.[5]

 

Rz. 32

Nach § 87a Abs. 5 S. 2 AO besteht eine Echtheitsvermutung für elektronische Dokumente, die mit einer qualifizierten elektronischen Signatur nach § 2 Nr. 3 SigG versehen sind. Dieser – dem § 292a ZPO entlehnte – Anscheinsbeweis (Prima-facie-Beweis) für die Echtheit eines Dokuments, d. h. für die rechtsverbindliche Zuordnungsfähigkeit der elektronischen Erklärung zu dem zertifizierten Signaturschlüssel-Inhaber, kann nur durch Tatsachen erschüttert werden, die ernstliche Zweifel daran begründen, dass das Dokument mit dem Willen des Signaturschlüssel-Inhabers übermittelt und damit von diesem für den Rechtsverkehr bestimmt worden ist.[6] Die für eine Widerlegung der Echtheitsvermutung ernstlichen Zweifel liegen in entsprechender Anwendung der zu § 361 Abs. 2 AO und § 69 Abs. 2 FGO entwickelten Grundsätze[7] vor, wenn die substantiiert vorgetragenen Tatsachen ergeben, dass es überwiegend wahrscheinlich ist, dass die in dem Dokument verkörperte Erklärung nicht dem Willen des Signaturschlüssel-Inhabers entspricht.[8] An diesem Willen wird es z. B. bei einem Diebstahl der Signaturkarte und/oder PIN bzw. bei einem sonstigen unbefugten Zugriff eines Dritten auf die zum Signieren vorhandene Hard- und Software fehlen.[9]

 

Rz. 33

Sind ernstliche Zweifel i. d. S. begründet, so ist der Beweis des ersten Anscheins entkräftet und es gelten die Grundsätze der freien Beweiswürdigung und ggf. der objektiven Beweislast.[10]

 

Rz. 34

Der Anscheinsbeweis nach § 87a Abs. 5 S. 2 AO gilt nur für Dokumente mit qualifizierten elektronischen Signaturen. Die Echtheitsvermutung gilt nach dem Gesetzeswortlaut hingegen nicht für "einfache"[11] und "fortgeschrittene" elektronische Signaturen.[12] Gleiches gilt für eine Signatur i. S. d. § 87a Abs. 6 AO.[13] Auch in diesen Fällen kommt der Grundsatz der freien Beweiswürdigung zur Anwendung.[14] Vergleichbares gilt für eingescannte Doppel von Dokumenten im Papierformat. Immer mehr Stpfl. gehen zur elektronischen Ablage und Dokumentation über, da diese weltweit und von unterschiedlichen Arbeitsplätzen einsehbar ist und die Archivierung weniger aufwendig und sicherer ist. Allerdings handelt es sich hierbei nicht um elektronische Dokumente i. S. d. § 87a Abs. 3 und 4 AO, da allenfalls der Name der Person, die das Dokument eingescannt hat, revisionsfest mit dem elektronischen Dokument verbunden ist, nicht aber der Urheber und Übersender des Dokuments. Denkbar wäre dann allenfalls die Beweiserhebung durch Zeugenbeweis, dass dieses Dokument einmal vorgelegen hat, wobei sich diese Form der Beweiserhebung nicht nach § 87a Abs. 5 AO richtet. Die vom Anscheinsbeweis ausgehende Beweiswürdigungsregel gilt nur für die Echtheit des Dokuments, besagt aber nichts über den Wahrheitsgehalt des Dokumenteninhalts selbst.[15] Im Fall des Medienbruchs geht der Anscheinsbeweis nicht etwa auf den Ausdruck des elektronischen Dokuments über. Dieser erhält erst durch eine Beglaubigung wieder einen der elektronischen Form entsprechenden rechtlichen Wert.[16]

[1] Vgl. BT-Drs. 14/9000, 36.
[2] Koenig/Wünsch, AO, 3. Aufl. 2014, § 87a Rz. 54; Brandis, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 87a AO Rz. 15; Thürmer, in HHSp, AO/FGO, § 87a AO Rz. 132; Wagner, in Kühn/v. Wedelstädt, AO/FGO, 21. Aufl. 2015, § 87a AO Rz. 13.
[4] Vgl. auch § 371 Abs. 2 ZPO.
[6] AEAO, zu § 87a Nr. 4; Brandis, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 87a AO Rz. 15; Klein/Rätke, AO, 14. Aufl. 2016, § 87a Rz. 8.
[7] Brandis, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 87a AO Rz. 1...

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