Rz. 78
Nach § 411 ZPO kann für schriftliche Gutachten eine Frist bestimmt und bei deren Überschreiten ein Ordnungsgeld festgesetzt werden. Wird eine Frist von dem Gericht, d. h. von dem Senat oder dem Einzelrichter nach § 6 FGO bzw. allenfalls nach § 79a Abs. 3 FGO von dem Vorsitzenden oder Berichterstatter, bestimmt, ist die Fristsetzung zuzustellen. Das Erscheinen des Gutachters bei Gericht zur Erläuterung des Gutachtens kann angeordnet und den Beteiligten kann für ergänzende Fragen und Anträge eine Frist gesetzt werden.
Rz. 79
Schriftliche Gutachten sind in der Praxis die Regel, obgleich das Gesetz grundsätzlich von einer mündlichen (nicht telefonischen) Begutachtung ausgeht. Dem Sachverständigen sind im Fall der schriftlichen Begutachtung regelmäßig unter Belehrung über das Steuergeheimnis und unter Beifügung des Beweisbeschlusses die Steuer- und Gerichtsakten mit einem erläuternden und das Beweisthema aufbereitenden Begleitschreiben zu übersenden; s. auch § 404a ZPO. Wegen des Ordnungsgelds vgl. Kommentierung zu § 380 ZPO (s. Rz. 45ff.). § 296 Abs. 1 und 4 ZPO, auf die § 411 Abs. 4 S. 2 ZPO verweist, gelten im finanzgerichtlichen Verfahren wegen des Amtsermittlungsgrundsatzes nicht. An ihre Stelle tritt die Spezialvorschrift in § 79b Abs. 3 FGO (Zurückweisung verspäteten Vorbringens).
Rz. 80
Hält das Gericht eine mündliche Erläuterung des schriftlichen Gutachtens für erforderlich, so hat es das Erscheinen des Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung anzuordnen und die Beteiligten davon zu unterrichten. Beantragen die Beteiligten mündliche Erläuterung, muss das Gericht dem entsprechen, da die Beteiligten das Recht haben, Fragen an den Sachverständigen zu stellen. Der Antrag ist rechtzeitig vor der mündlichen Verhandlung zu stellen. Ein Verstoß gegen diese Regeln ist eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör.
Rz. 81
§ 411a ZPO dient der Prozessökonomie. § 411a ZPO setzt voraus, dass der Sachverständige, der das Gutachten in einem anderen Verfahren erstattet hat, auch in dem neuen Verfahren als Sachverständiger ernannt wird, was bereits durch die Anordnung nach § 411a ZPO erfolgt. Nach § 411a ZPO kann beispielsweise ein im sozialgerichtlichen Verfahren eingeholtes Gutachten zur Feststellung des Grads der Behinderung grundsätzlich in einem finanzgerichtlichen Verfahren, in dem um die Berücksichtigungsfähigkeit eines behinderten Kindes gestritten wird, verwertet werden. Die Entscheidung über die Verwertung steht im Ermessen des Gerichts, dessen Beschluss nicht anfechtbar ist. Dem Gericht steht es jedoch auch frei, das andere Sachverständigengutachten als Urkunde in den Prozess einzuführen.
Rz. 82
§ 412 ZPO erlaubt dem Gericht, nach seinem Ermessen ein neues Gutachten zum gleichen Beweisthema einzuholen, wenn es das erste für unzureichend hält. Die Einholung eines weiteren Gutachtens kommt insbesondere in Betracht, wenn sich das Gericht auf der Grundlage des vorliegenden Gutachtens keine sichere Überzeugung bilden kann. Dies kann der Fall sein, wenn die Grundvoraussetzungen für die Verwertbarkeit bereits vorliegender Gutachten insbesondere deswegen nicht gegeben sind, weil sie offen erkennbare Mängel aufweisen, von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgehen oder unlösbare Widersprüche enthalten, wenn ferner Zweifel an der Sachkunde oder Unparteilichkeit der Gutachter bestehen oder ihnen das einschlägige spezielle Fachwissen fehlt. Das Tatsachengericht ist hingegen nicht allein schon deshalb verpflichtet, ein weiteres Gutachten oder zusätzliche gutachtliche Äußerungen einzuholen, weil ein Beteiligter meint, das bereits vorliegende Gutachten sei keine ausreichende Erkenntnisquelle.
Ein Zweitgutachten ist einzuholen, wenn sich die Notwendigkeit einer zusätzlichen Beweiserhebung aufdrängt. Das ist insbesondere der Fall, wenn die Einschätzung des Erstgutachters nicht dem Stand der Wissenschaft entspricht, widersprüchlich oder von unsachgemäßen Erwägungen getragen ist.
Das Gericht kann nach seinem Ermessen auch ein Obergutachten einholen.
Rz. 83
Die Beteiligten können ohne Rücksicht auf die Wertungen des Gerichts die nach ihrer Auffassung bestehenden Mängel des Gutachtens aufzeigen und mit überzeugenden Gründen rügen.