Rz. 7
Vom Leistungsanspruch ausgenommen sind lediglich die Behandlungskosten des unter Rz. 6 aufgezählten Personenkreises, in denen im Einzelfall die Absicht einer missbräuchlichen Leistungsinanspruchnahme nachgewiesen werden kann. Hierbei sind die Gesamtumstände des Einzelfalls zu berücksichtigen und abzuwägen, ob und ggf. welche Leistungen entsprechend der Gesetzesbegründung auch im Falle eines nachgewiesenen Leistungsmissbrauchs vom Leistungsausschluss betroffen bzw. nicht betroffen sind (Gemeinsames Rundschreiben der Spitzenverbände der Krankenkassen zu den leistungsrechtlichen Vorschriften des GKV-WSG v. 9.3.2007).
Nach dem Beschluss des Bay. LSG v. 9.4.2018 (L 20 KR 72/18 B ER) liegt eine Missbrauchsabsicht vor, wenn der Wille auf den Leistungsbezug gerichtet ist, wenn es dem Einreisenden also darauf ankommt. Ein (nur) bedingter Vorsatz ist hier nicht ausreichend. Standen andere Motive im Vordergrund, kommt ein Leistungsausschluss nach § 52a ebenfalls nicht in Betracht. Missbräuchlich kann eine Inanspruchnahme von Leistungen damit naturgemäß nur sein, wenn der Leistungsbedarf bei der Einreise bereits bekannt – oder zumindest vorhersehbar – war. Weitergehende Anforderungen sind nicht zu stellen. Sofern bei der Einreise die Inanspruchnahme von Leistungen das Hauptziel war, ist ein missbräuchliches Verhalten – also ein Verstoß gegen Treu und Glauben – anzunehmen. Dieses ist der Fall, wenn ein seit Jahren in Thailand lebender deutscher Staatsangehöriger nach einem Unfall mit Erstversorgung der Verletzungen in Thailand deshalb nach Deutschland zurückkehrt, weil seine private Auslandskrankenversicherung nicht mehr die weiteren Kosten der ärztlichen, kostenaufwendigen Versorgung übernehmen will. Im Übrigen kann es für die Frage des Rechtsmissbrauchs der Leistungsinanspruchnahme keinen Unterschied machen, ob sich ein Betroffener deshalb zur Einreise entscheidet, weil er im Ausland überhaupt nicht über einen Krankenversicherungsschutz verfügt – für diesen Fall ist § 52a offenkundig einschlägig – oder ob er einen nur lückenhaften Schutz hat oder die im Ausland einstandspflichtige Krankenversicherung die Leistung verweigert.
Nach dem Urteil des LSG Berlin-Brandenburg v. 24.7.2015 (L 1 KR 246/12) bezieht sich das Tatbestandsmerkmal des Missbrauchs schon sprachlich-grammatikalisch auf die Inanspruchnahme von Leistungen. Demnach kommt es nicht darauf an, ob der Versicherte sich mit Recht oder sonstigen guten Gründen in das Inland begeben hat, sondern ob die Inanspruchnahme von Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung sachlich hinreichend gerechtfertigt erscheint. Der Gesetzesbegründung (a. a. O.) ist zu entnehmen, dass Maßstab für das Vorliegen eines Missbrauches die Abwehr von Belastungen der Solidargemeinschaft der Versicherten ist.
Nach dem Urteil des LSG Berlin-Brandenburg v. 24.7.2015 (a. a. O.) kann der Leistungsausschluss darüber hinaus nur dann angewandt werden, wenn der nach Deutschland Einreisende das Wissen gehabt hatte, um auf der Grundlage einer Versicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 (Versicherung ohne Erwerbstätigkeit oder Bezug von Sozialleistungen; "Auffangversicherung") missbräuchlich Krankenversicherungsleistungen in Anspruch zu nehmen. Nach der Urteilsbegründung kann i. d. R. einem Laien, der keine gezielten Hinweise auf das "Schlupfloch" der Leistungsinanspruchnahme hat, kein Missbrauch nachgewiesen werden. Die Tatsache, dass erst die Kirche oder das Sozialamt auf die Möglichkeit einer Auffang-Krankenversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 hinweist und dann auf den Abschluss der Versicherung drängt, kann ein Indiz dafür sein, dass der Einreisende in der Verbindung mit der Auffangversicherung keine Leistungen rechtsmissbräuchlich von der Krankenkasse in Anspruch nehmen wollte.
Richtigerweise weisen die Spitzenverbände in ihrem Gemeinsamen Rundschreiben v. 9.3.2007 darauf hin, dass der Nachweis des Tatbestandes, dass sich Personen allein mit der Zielsetzung in die Bundesrepublik Deutschland begeben, um im Rahmen der Versicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 für sich oder ihre Familienangehörigen Leistungen in Anspruch zu nehmen, in der Praxis schwierig ist. Dies wäre nur dann anders, wenn es sich um eine wie in der Gesetzesbegründung beschriebene offensichtliche Fallkonstellation mit aufwendigem – i. d. R. stationärem – Behandlungsbedarf handelt. Die Spitzenverbände raten, bereits bei der ersten Kontaktaufnahme mit den betroffenen Personen die Motive für die Begründung des Aufenthalts in Deutschland abzuklären. Fraglich ist, inwieweit die Personen bereit sind, die Gründe für den Aufenthalt in Deutschland darzulegen. In der Praxis der Krankenkassen ist sicherlich auch der erhebliche Verwaltungsaufwand, den der Nachweis eines solchen Missbrauchs zweifelsohne erfordert, nicht zu unterschätzen. Die Krankenkassen müssen hierzu Kenntnisse über die privaten Umstände der Personen erlangen, die für sie nur schwerlich in Erfahrung zu bringen sind.