Prof. Dr. Volker Wahrendorf
Rz. 93
Als weitere Pflichtaufgabe hat der Gesetzgeber den KVen/KZVen bzw. der KBV/KZBV nach Abs. 3 Satz 1 die Sicherstellung der ärztlichen und zahnärztlichen Behandlung von Personen übertragen, die Anspruch auf freie Heilfürsorge haben (z. B. Angehörige der Bundeswehr, der Bundespolizei, Zivildienstleistende oder Polizeivollzugsbeamte des Bundes und der Länder); außerdem zählt dazu die Sicherstellung der in Abs. 3 Satz 2 genannten Untersuchungen zur Durchführung der allgemeinen Wehrpflicht, zur Vorbereitung von Personalentscheidungen sowie betriebs- und fürsorgeärztliche Untersuchungen, die von öffentlich-rechtlichen Kostenträgern veranlasst werden.
Die gesetzliche Übertragung einer Pflichtaufgabe ist verfassungskonform. Mit dieser Ausgestaltung wird nach dem Willen des Gesetzgebers das funktionsfähige und funktionierende System der Krankenversicherung auch für den Leistungsbereich der Heilfürsorgeberechtigten nutzbar gemacht. Die Vergütung der Behandlungsleistungen schulden der KV/KZV die Bundesrepublik Deutschland oder das jeweilige Bundesland, die als Kostenträger der freien Heilfürsorge an die Stelle einer gesetzlichen Krankenkasse treten. Rechtstechnisch wird die Sicherstellung der ärztlichen Behandlung und ab 1.4.1999 auch der psychotherapeutischen Behandlung dieser Personen durch Vertrag z. B. zwischen der KBV und den jeweils zuständigen Kostenträgern, wie der Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundesministerium des Innern, oder zwischen einer KV und dem jeweiligen Bundesland, vertreten durch das Innenministerium, geregelt. Der Vertrag lehnt sich inhaltlich stark an die Regelungen der vertragsärztlichen Versorgung an. Als Grundsatz gilt, dass sich der Umfang der zu beanspruchenden ärztlichen Leistungen nach dem SGB V richtet, soweit die Verordnungen über die freie Heilfürsorge nichts anderes bestimmen. Ausgenommen sind danach die ärztlichen Leistungen wegen Empfängnisregelung, Sterilisation, Schwangerschaftsabbruch, Reproduktionsmedizin sowie prophylaktische Impfleistungen. Die Anlehnung an die vertragszahnärztliche Versorgung gilt z. B. auch für die zahnärztliche Versorgung von Zivildienstleistenden, für die das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend über das Bundesamt für den Zivildienst federführend ist, welches die Zivildienstleistenden durch ministerielle Richtlinien vom 1.2.2005 über ihre zahnärztlichen Versorgungsansprüche im Rahmen der freien Heilfürsorge informiert hat. Die vom Gemeinsamen Bundesausschuss verabschiedeten Richtlinien (z. B. Krebsfrüherkennungsrichtlinien, Gesundheitsuntersuchungs-Richtlinien, Arzneimittel-Richtlinien, Heilmittel-Richtlinien, Hilfsmittel-Richtlinien, Krankentransport-Richtlinien, Mutterschafts-Richtlinien) sind von den zugelassenen Ärzten, zugelassenen medizinischen Versorgungszentren, ermächtigten Ärzte sowie ermächtigten ärztlichen Einrichtungen (vgl. § 95) anzuwenden. Für Vertragspsychotherapeuten gilt die Anwendung der Psychotherapie-Richtlinien i.V. mit den Psychotherapievereinbarungen.
Auch die für die vertragsärztliche Versorgung geltenden Abrechnungsvordrucke bzw. die Vordruckvereinbarung in der jeweils gültigen Fassung (Anlage 2 BMV Ärzte/Ersatzkassen) sind im Rahmen der freien Heilfürsorge zu verwenden und es gilt die jeweilige Prüfvereinbarung nach § 106 Abs. 3 für die Überprüfung der Honoraranforderung sowie der Verordnungsweise des Arztes im Hinblick auf eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Behandlung der Anspruchsberechtigten.
In Abs. 3 ist die Vergütungshöhe der ärztlichen und zahnärztlichen Leistungen, die von Vertrags(zahn)ärzten im Rahmen der freien Heilfürsorge erbracht werden, auf der Grundlage der Euro-Gebührenordnung in der jeweils gültigen Fassung an die Vergütungssätze der Ersatzkassen gekoppelt worden. Der Arzt darf für eine Leistung, die nach dem Vertrag vergütet wird, vom Anspruchsberechtigten oder einem anderen Kostenträger keine weitere Vergütung fordern. Vertragsverletzungen eines Arztes überprüft die KV in einem Disziplinarverfahren. Bei groben Pflichtverletzungen kann der Vertragsarzt von der Teilnahme am Vertrag ausgeschlossen werden. Die Zahlung der Vergütung erfolgt zwischen der vom Kostenträger bestimmten Stelle (in Nordrhein-Westfalen z. B. das Landesamt für Zentrale Polizeiliche Dienste NRW – LZPD) und der zuständigen KV. Die KV hat im Übrigen das Innenministerium über alle Änderungen des Arzt-/Ersatzkassenvertrages zu informieren, soweit sie den Vertrag über die freie Heilfürsorge berühren.
Die erbrachten Leistungen zählen nicht zur vertrags(zahn)ärztlichen Versorgung, obwohl ihre Sicherstellung für die zuständige KV/KZV eine gesetzliche Pflichtaufgabe darstellt, der sie sich nicht entziehen und bei der sie ihren Verwaltungsaufwand gegenüber den Kostenträgern nicht abrechnen kann. Weigert sich eine KV/KZV, die unentgeltliche Abrechnung der erbrachten ärztlichen Leistungen gegenüber den Kostenträgern vorzunehmen und erledigt stattdessen der Kostenträger selbst den Abrechnungsverk...