Prof. Dr. Volker Wahrendorf
Rz. 92
Die Richtlinien für die kieferorthopädische Behandlung, die den Leistungsanspruch des Versicherten nach § 29 konkretisieren hatte 2003 der damals zuständige Bundesausschuss der Zahnärzte und Krankenkassen verabschiedet; sie sind nach ihrer Veröffentlichung im BAnz 2003 S. 24966 zum 1.1.2004 in Kraft getreten. Die Richtlinien beschreiben und begrenzen gleichermaßen den Anspruch auf KfO-Behandlung, indem z. B. kieferorthopädische Maßnahmen, die lediglich kosmetischen Zwecken dienen, nicht zur vertragszahnärztlichen Versorgung gehören. Dagegen haben Versicherte mit schweren Kieferanomalien, die in den Richtlinien sowie in Anlage 3 der Richtlinien näher beschrieben sind, auch dann den Anspruch auf kombinierte kieferchirurgische und kieferorthopädische Behandlungsmaßnahmen innerhalb der vertragszahnärztlichen Versorgung, wenn sie älter als 18 Jahre sind. Dies entspricht auch dem Gebot des Abs. 1 HS 2, für behinderte oder von Behinderung bedrohte Menschen besondere Regelungen vorzusehen. Die Richtlinien beschreiben konkret den Behandlungsbedarf anhand befundbezogener kieferorthopädischer Befundgruppen, die in Anlage 1 der Richtlinien enthalten sind. Anlage 2 enthält die Kriterien zur Anwendung der kieferorthopädischen Indikationsgruppen, sodass der Vertragszahnarzt festzustellen hat, ob der Grad einer Fehlstellung vorliegt, für deren Behandlung der Versicherte einen Leistungsanspruch gegen die Krankenkasse hat. Die Indikationsgruppen (Befunde) sind dabei in 5 Behandlungsbedarfsgrade eingeteilt und nur bei den Graden 5,4 und 3 hat der Versicherte einen Leistungsanspruch.
Rz. 93
Die KfO-Richtlinien geben auch vor, dass der Vertragszahnarzt – dazu zählt auch der Kieferorthopäde – persönlich und eigenverantwortlich die Anamnese erhebt, die Diagnose einschließlich Prognose aus den Einzelbefunden stellt (Gebissmodelle des Ober- und Unterkiefers mit fixierte Okklusion und dreidimensional orientiert, Modell des Einzelkiefers mit genauer Darstellung der Zähne und des Alveolarkammes auch die Kieferbasis und die Abbildung der Umschlagfalte der Gingiva, Röntgenaufnahmen aller Zähne und Zahnkeime beider Kiefer, Fernröntgenseitenbild mit Durchzeichnung und schriftlicher Auswertung zur Analyse skelettaler und / oder dentaler Zusammenhänge der vorliegenden Anomalie und / oder Wachstumsvorhersagen, ggf. Röntgenaufnahmen der Hand mit Auswertungen, ggf. Profil- und Enface-Fotografie mit diagnostischer Auswertung) und die Epikrise verfasst. Auf dieser Grundlage erarbeitet er dann persönlich und eigenverantwortlich die Therapie- und Retentionsplanung, einschließlich der Planung der erforderlichen Geräte. Kieferorthopädische Behandlungen, die in der Regel über längere Zeiträume dauern und eine ausreichende Retentionsphase einschließen, sollen nur in den Richtlinien genannten Ausnahmefällen vor Beginn der 2. Phase des Zahnwechsels (spätes Wechselgebiss) begonnen werden. Da Dauer und Erfolg der kieferorthopädischen Behandlung wesentlich von der verständnisvollen Mitarbeit des Patienten und der Erziehungsberechtigten abhängen, sind diese vor Behandlungsbeginn entsprechend aufzuklären und zu motivieren. Das Behandlungsziel muss neu definiert bzw. die Behandlung ggf. sogar beendet werden, wenn Patienten trotz Motivation und Instruktion keine ausreichende Mitarbeit zeigen oder eine unzureichende Mundhygiene betreiben.