Fiktion eines Anschaffungsvorgangs: Der Gesetzgeber fingiert bei der Entnahme eines Grundstücks aus dem laufenden Betrieb oder anlässlich einer Betriebsaufgabe einen Anschaffungsvorgang (§ 23 Abs. 1 S. 2 EStG) – und damit den Beginn der zehnjährigen Veräußerungsfrist, die nun
- nicht mehr an die Anschaffung/Herstellung des Objekts,
- sondern an die Entnahme/Betriebsaufgabe
anknüpft. Wird das entnommene Grundstück nun innerhalb von zehn Jahren nach der Entnahme veräußert, löst dies die Rechtsfolgen des § 23 EStG aus.
Beispiel
F überträgt ein zu seinem BV gehörendes, von ihm in 2003 für 50.000 EUR angeschafftes unbebautes Grundstück zum 1.8.2020 unentgeltlich auf seine Tochter G, die das Grundstück nach Bebauung mit einem Einfamilienhaus zu eigenen Wohnzwecken nutzen will. Der Teilwert zum 1.8.2020 beträgt 120.000 EUR, so dass die Entnahme des Grundstücks im Betrieb des F zu einem Entnahmegewinn i.H.v. (120.000 EUR – 50.000 EUR=) 70.000 EUR führt. Es kommt jedoch nicht zu einer Bebauung durch G, die das Grundstück mit Notarvertrag vom 23.5.2024 für 180.000 EUR veräußert.
Lösung: Die Grundstücksveräußerung durch G führt zu einem steuerpflichtigen Vorgang nach § 23 EStG, da nicht auf den Zeitpunkt der Anschaffung des Objekts durch F in 2003, sondern auf den 1.8.2020, den Entnahmezeitpunkt, abzustellen ist, mit dem die Anschaffungsfiktion des § 23 Abs. 1 S. 2 EStG ausgelöst wurde. G ist als unentgeltliche Einzelrechtsnachfolgerin auch die Überführung des Grundstücks in das PV durch den Rechtsvorgänger A zuzurechnen (§ 23 Abs. 1 S. 3 EStG). Somit erfolgt die Veräußerung zum 23.5.2024 innerhalb der am 1.8.2020 beginnenden zehnjährigen Veräußerungsfrist des § 23 EStG und führt zu einem steuerpflichtigen Gewinn i.H.v. 60.000 EUR (Erlös 180.000 EUR – Entnahmewert 120.000 EUR).
Beraterhinweis Die Regelungen des § 23 Abs. 1 S. 2 EStG finden im Bereich des gewerblichen Grundstückshandels keine entsprechende Anwendung, denn für eine analoge Anwendung dieser Vorschrift fehlt es an einer planwidrigen Regelungslücke.
Besonderheit bei der Veräußerungsgewinnermittlung: Bei Ermittlung des steuerpflichtigen Veräußerungsgewinns ist zu beachten, dass nach § 23 Abs. 3 S. 3 EStG an die Stelle der Anschaffungs-/Herstellungskosten der nach § 6 Abs. 1 Nr. 4 bzw. § 16 Abs. 3 EStG angesetzte Entnahmewert – d.h. der der Besteuerung zugrunde gelegte Teilwert bzw. gemeine Wert – tritt.
Beachten Sie: Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Entnahmewert seinerzeit zutreffend ermittelt worden ist; maßgebend für den Ansatz fiktiver AK ist allein der tatsächliche Wertansatz bei der getätigten Entnahme. Ist der entsprechende Aufgabegewinn aufgrund der Freibeträge nach §§ 16 Abs. 4, 14, 14a, 18 Abs. 3 EStG nicht der Besteuerung unterworfen worden, bleibt es dennoch i.R.d. Ermittlung des privaten Veräußerungsgewinns beim Ansatz des Entnahmewerts als fiktive AK.
Wird das Grundstück nicht mit dem Teilwert, sondern fälschlicherweise mit dem Buchwert entnommen und kann der entsprechende Steuerbescheid nicht mehr geändert werden, ist in derartigen Fällen der Ansatz des Buchwertes anstelle des nach dem Gesetz zutreffend ermittelten Teilwerts im Zeitpunkt der Entnahme als (fiktive) AK maßgeblich. Denn nach dem Gesetzeswortlaut kommt es bei der Ermittlung des privaten Veräußerungsgewinns auf den "angesetzten" Wert an. Dies ist der Entnahmewert, der der Steuerfestsetzung im Steuerbescheid des Veranlagungszeitraums, in dem die Entnahme des Wirtschaftsgutes aus dem BV erfolgt ist, zugrunde gelegen hat – unabhängig davon, ob sich dieser Wert (in Form des Buchwertes) als fehlerhaft herausstellt.