Leitsatz
Eine Wohnung ist "ständige Wohnstätte" i.S.d. DBA Schweiz 1971, wenn sie nach Art und Intensität ihrer Nutzung eine nicht nur hin und wieder aufgesuchte, sondern in den allgemeinen Lebensrhythmus des Steuerpflichtigen einbezogene Anlaufstelle darstellt.
Normenkette
Art. 4 Abs. 3 DBA-Schweiz 1971
Sachverhalt
Der Kläger wohnte in den Streitjahren (1989 bis 1994) in der Schweiz und bestritt seinen Lebensunterhalt aus Kapitalerträgen. Er besaß zudem im Inland eine Eigentumswohnung, die er u.a. aus Anlass von Arztbesuchen und Bankgeschäften sowie zu Reinigungszwecken aufsuchte. Diese Wohnung wurde ab 1995 vermietet. Im September 1994 hat der Kläger in Deutschland eine Schweizer Staatsangehörige geheiratet.
Im Zug einer Steuerfahndungsprüfung wurde festgestellt, dass der Kläger in den Streitjahren sowohl bei deutschen als auch bei Schweizer Kreditinstituten erhebliche Kapitalbeträge angelegt und daraus Zinsen erzielt hatte. Aufgrund dieser Feststellungen erließ das FA entsprechende Steuerbescheide.
Die gegen diese Bescheide gerichtete Klage hatte Erfolg; das FG entschied, dass der vom FA vorgenommenen Besteuerung das DBA Schweiz 1971 entgegenstehe, da der Kläger in den Streitjahren im Inland keine ständige Wohnstätte i.S.d. Art. 4 Abs. 3 DBA Schweiz 1971 besessen habe.
Entscheidung
Der BFH hob das Urteil des FG auf und verwies die Sache an dieses zurück:
Es möge nach den in den Praxis-Hinweisen gegebenen Merkmalen aufgeklärt werden, ob eine hinlängliche Inlandsverwurzelung des Klägers bestanden habe.
Hinweis
1. Eine in der Schweiz wohnende natürliche Person kann nach Art. 4 Abs. 3 DBA Schweiz 1971 unter bestimmten Voraussetzungen gleichwohl in Deutschland als unbeschränkt steuerpflichtig behandelt werden, dann nämlich, wenn jene Person in Deutschland über eine ständige Wohnstätte oder ihren gewöhnlichen Aufenthaltsort verfügt.
2. Darüber, wann eine "ständige Wohnstätte" vorliegt, besteht Ungewissheit. Der BFH hat das nun präzisiert:
Eine Wohnstätte ist "ständig" i.S.d. Art. 4 Abs. 3 DBA Schweiz 1971, wenn sie aufgrund einer langfristigen Rechtsposition ständig genutzt werden kann und tatsächlich regelmäßig genutzt wird. Dabei ist einerseits weder ein ständiges Bewohnen noch ein Mindestmaß an Nutzung Voraussetzung für das Vorliegen einer ständigen Wohnstätte; ebenso muss sich dort nicht der Mittelpunkt der Lebensinteressen des betreffenden Steuerpflichtigen befinden. Andererseits reicht eine nur gelegentliche Nutzung nicht aus. Erforderlich ist vielmehr eine Art und Intensität der Nutzung, welche die Wohnung als eine nicht nur hin und wieder aufgesuchte, sondern in den allgemeinen Lebensrhythmus einbezogene Anlaufstelle des Steuerpflichtigen erscheinen lässt. Darin liegt die Qualifizierung der "ständigen Wohnstätte" gegenüber dem "Wohnsitz" i.S.d. § 8 AO, für dessen Begründung es ausreichen kann, dass eine Wohnung ständig zur Nutzung bereitgehalten und tatsächlich nur von Fall zu Fall genutzt wird.
Diese Beurteilung wird, bezogen auf Art. 4 Abs. 3 DBA Schweiz 1971, durch das Verhandlungsprotokoll zu diesem Abkommen vom 18.6.1971 (BStBl I 1975, 504) bestätigt. Danach gelten als ständige Wohnstätte nicht eine Wohnung oder Räumlichkeiten, die nach Charakter und Lage ausschließlich Kur-, Studien- oder Sportzwecken dienen und nachweislich nur gelegentlich und nicht zum Zweck der Wahrnehmung wirtschaftlicher und beruflicher Interessen verwendet werden. Daraus lässt sich zwar nicht ableiten, dass eine Wohnung stets "ständige Wohnstätte" i.S.d. Art. 4 Abs. 3 DBA Schweiz ist, wenn sie anlässlich der Erledigung wirtschaftlicher Angelegenheiten genutzt wird. Jedoch lässt sich aus der dort enthaltenen Negativausgrenzung ein gewisses begriffliches Vorverständnis ableiten, das dahin geht, dass jedenfalls die regelmäßige Nutzung einer Wohnung im Zusammenhang mit einer wirtschaftlichen Tätigkeit zur Begründung einer "ständigen Wohnstätte" führt.
- Wie häufig und intensiv eine Wohnung genutzt werden muss, um zur "ständigen Wohnstätte" i.S.d. Art. 4 Abs. 3 DBA Schweiz 1971 zu werden, lässt sich nicht in abstrakter Weise abschließend bestimmen. Der BFH verlangt "in Grenzfällen ... eine wertende Betrachtung ..., die darauf abstellt, ob die Intensität der Nutzung bei objektiver Betrachtung auf eine Einbindung der Wohnung in das übliche Leben des Steuerpflichtigen hindeutet. In diesem Sinn kann auch auf die persönliche Bindung des Steuerpflichtigen zu der Wohnung abgestellt werden".
3. Im Ergebnis muss also letztlich tatrichterlich beantwortet werden, ob den Anforderungen genügt ist.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 5.6.2007, I R 22/06