Rz. 330
Nach amtlicher Publizierung des erwähnten BFH-Urteils, das zwar zu Leistungen einer Schweizer Familienstiftung erging, aber auch für Destinatsleistungen inländischer Stiftungen relevant ist, gilt offiziell:
- Satzungsmäßige Leistungen sind keine freigebigen Zuwendungen.
- Einschätzungsprärogative: Es ist primär Sache der Stiftung einzuschätzen, ob eine Leistung satzungskonform ist oder nicht.
Rz. 330.1
Das kann nicht richtig sein. Der mit eindeutiger Entscheidungsprärogative ausgestatte Gesetzgeber (Art. 20 Abs. 3 GG) verpflichtet durch § 85 Satz 1 AO die Finanzbehörden und die Rechtsprechung im Interesse aller Bürger/innen zur gleichmäßigen Anwendung der Steuergesetze. Auch der II. BFH-Senat darf nicht – auch nicht zur Vermeidung behaupteter Rechtsunsicherheit wegen angeblicher Administrierungsprobleme und Vollzugsdefizite – die Nichtanwendung von Steuergesetzen zugunsten einzelner Personengruppen erlauben (Art. 97 Abs. 1 GG). Dazu führt es aber, wenn die Schenkungsteuerstellen nun einen allumfassenden Auslegungsspielraum der Stiftungsorgane im Interesse der Zuwendungsbeteiligten faktisch akzeptieren sollen. Fatalerweise befinden sie sich wohl schon auf diesem Irrweg.
Rz. 330.2
Dass sich mittels weitgefasster Satzungszwecke (Beispiel: Die Erträgnisse des Stiftungsvermögens sind für Zuwendungen an jedermann zu verwenden.) bei Ausschluss sämtlicher Ansprüche (Beispiel: Niemand hat einen Rechtsanspruch auf Leistungen der Stiftung.) jegliche Schenkungsbesteuerung vermeiden lässt, kann nicht richtig sein. Unstreitig ist eine Schenkung i.S.d. § 516 Abs. 1 BGB stets auch freigebige Zuwendung i.S.d. § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG (s.o. Rz. 5). Destinatsleistungen an anspruchslose Empfänger werden durchaus als zivilrechtliche Schenkungen qualifiziert. Bei beidseitiger Einigkeit über die Unentgeltlichkeit einer bereichernden Zuwendung ist Rechtsgrund der Leistung zwingend die Schenkung (§ 516 Abs. 1 BGB), keinesfalls aber der Stiftungszweck. Die Stiftungszwecke binden zwar die Stiftungsorgane an den Willen des Stifters. Werden sie aber nicht inhaltlich Teil des jeweiligen Rechts- oder Verfügungsgeschäfts, z.B. als Bedingung, Auflage oder Geschäftsgrundlage, so dass sie im Falle ihrer Verfehlung eventuelle Rückforderungsrechte begründen mögen, sind sie lediglich Motiv der Zuwendung und schenkungsrechtlich daher unbeachtlich (s. auch Rz. 424). Im maßgebenden Außenverhältnis der Stiftung gegenüber den Destinatären sind sie irrelevant; für die Rechtswirksamkeit ihres Erwerbs spielt es keine Rolle, ob sie von der Stiftung noch satzungsentsprechend beschenkt wurden oder nicht.
Rz. 330.3
Freigebig i.S.d. § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG geschieht auch die Erfüllung freigebig (schenkweise) begründeter Ansprüche. Statutarische Destinatsansprüche sind solche Ansprüche. Sie ergeben sich aus der im Rahmen des Stiftungsgeschäfts verfassten Stiftungssatzung, in der der Stifter autonom und ohne Rechtspflicht nicht nur die Destinatäre, sondern auch die Voraussetzungen ihrer Begünstigung bestimmt hat (§§ 85, 81 Abs. 1 Satz 3 BGB). Selbst satzungsgemäß geschuldete Destinatsleistungen sind daher tatbestandlich freigebige Zuwendungen der Stiftung (s. allerdings Rz. 302); die Annahme, dass ihre Organe nicht in Kenntnis der Stiftungssatzung handeln, wäre lebensfremd.
Rz. 330.4
Die nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG nötige Freigebigkeit des Schenkers ist ein rein subjektives Merkmal; wer sich der Unentgeltlichkeit seiner Leistung bewusst ist, handelt tatbestandsmäßig (s. auch Rz. 6; 102). Grundsätzlich hält der II. BFH-Senat daran fest. Wenn er nun aber behauptet, bei satzungsgemäßen Stiftungsleistungen fehle die Freigebigkeit im Rechtssinne, argumentiert er im luftleeren Raum. Leider erklärt er diesen erstmals verwendeten Begriff nicht, sondern zieht stattdessen eine Parallele zu Zuwendungen öffentlicher Verwaltungsträger und Zuwendungen von Kapitalgesellschaften an ihre Gesellschafter sowie diesen nahestehende Personen. Deren Steuerbarkeit hatte er jedoch mangels objektiver Freigebigkeit verneint bzw. weil die angeblich ertragsteuerliche Erfassbarkeit der zugewendeten Vorteile einer Freigebigkeit entgegenstehe; auch hierbei verließ er die Ebene der Behauptung nicht (s. Rz. 73, 103, 204, 438 ff.). Man wüsste schon gerne, welche Gemeinsamkeiten die öffentliche Hand, Kapitalgesellschaften und Stiftungen tatsächlich aufweisen, um willentlich unentgeltlich aus ihrem Vermögen erbrachte Leistungen, anders als derartige Zuwendungen anderer Personen, nicht als Schenkungen i.S.d. § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG zu beurteilen. Zu recht sah der BFH daher einst auch die Vermögensübertragung zwischen zwei Stiftungen als freigebige Zuwendung an – übrigens unter Hervorhebung der Unterschiede rechtsfähiger Stiftungen gegenüber Kapitalgesellschaften und Trägern öffentlicher Verwaltung.
Rz. 330.5
Wegen angeblicher Ver...